Der Mythos von den deutschen Pfeffersäcken – eine Buchkritik

Unternehmensberater Daniel Stelter nimmt sich der populären Erzählung vom reichen Deutschen an und urteilt, dass es mit dem Vermögen seiner Landsleute nicht so weit her ist. stelter_coverDeren Einkommen sei zwar relativ hoch – eine Mischung aus ahnungslosen Politikern, schlechten Anlage-Gewohnheiten und Umverteilungs-Wünschen benachbarter Länder verhindere jedoch deren Verwandlung in Vermögen. Statt produktiv zu investieren, habe Deutschland nicht werthaltige Forderungen gegen ausländische Akteure aufgebaut. NB zum Gegensatz von qualifizierter und unqualifizierter Zuwanderung.

Stelters Ausgangspunkt sind offizielle Statistiken, die für Deutschland geringere Nettovermögen ausweisen als z.B. für Italien, Frankreich, oder Spanien (was nur zum Teil auf den Umstand zurückgeht, dass die Teutonen weniger oft Eigentümer jener Immobilien sind, die sie bewohnen).

Sehr wohl hätten die Deutschen aber ein hohes Einkommen (BIP/cap) sowie eine ebensolche Sparneigung, was sich freilich schon bisher nicht im net worth der Haushalte niedergeschlagen habe.

Besagte Einkommen entstünden vornehmlich im Export  – diese seien letztlich aber weder der eigenen Tüchtigkeit geschuldet noch nachhaltig, weil

  • der niedrige Euro die Ausfuhren in den Dollar-Raum pushe,
  • die künstlichen Mini-Zinsen die Nachfrage ankurbelten oder
  • die Exporte nur von der BuBa ermöglicht wurden, was wiederum zur riesigen Drohverlusten für die deutsche Währungsnutzer und Steuerzahler führe (Target/Eurozone).

Dass die Transformation von Vermögen zu Einkommen schon bis dato nicht funktioniert habe, liege u.a. an der hohen Steuer- und Abgabenbelastung und an der Wahl “falscher Sparmedien” –

nämlich solcher, die nicht von der dem System innewohnenden, sozusagen strukturellen Benachteiligung der Sparer profitierten (im strengen Wortsinn ist Sparen in Aktien und Immobilien freilich kein Sparen, Anm.).

Überall, wo Deutsche im Ausland den “Kreditgeber in einer überschuldeten Welt” spielten, müssten sie empfindliche Forderungsausfälle hinnehmen, wie schon in der Finanzkrise 2007/08.

In einer überschuldeten Welt ist es keine gute Idee, Gläubiger zu sein. Es ist nämlich abzusehen, dass es im Zuge der unvermeidlichen Reduktion der Schulden zu erheblichen Verlusten für die Gläubiger kommen wird. Doch genau einer dieser Gläubiger sind wir.”

Alles in allem

ergeht es uns wie den Eichhörnchen, die zwar fleißig Nüsse sammeln und verstecken, also sparen, diese im harten Winter dann aber nicht wiederfinden.”

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Im vergangenen Jahr hätten in Deutschland nicht nur Privathaushalte, sondern auch Unternehmen und Staat Überschüsse erwirtschaftet/eine positive Sparquote gehabt – zusammen massive 8,5 Prozent des BIP.

Diese Anomalie würde, gäbe es kein Ausland, eine schwere Wirtschaftskrise zur Folge haben.

Weil es das Ausland real aber sehr wohl gebe, habe der “Exportweltmeister” fragwürdige Forderungen gegen nicht-deutsche Schuldner aufgebaut,

  • über die entweder bereits heute nicht verfügt werden könne oder die
  • in Zukunft absehbar ausfallen würden.

Während es speziell für eine alternde Gesellschaft ( = “Haushalte”) durchaus rational sei zu sparen, seien nicht (richtig) investierende Unternehmen geradezu pervers – ebenso wie ein Überschüsse produzierender Staat, der gleichzeitig seine Infrastruktur verfallen lässt bzw. der nicht in deren Ausbau investiert.

Wir brauchen Unternehmen, die mehr investieren – oder eben, wenn sie es nicht tun, mehr Steuern zahlen –, und einen Staat, der mehr ausgibt (…) Das Geld dafür ist da und es ist allemal besser, es im Inland auszugeben, als es im Ausland zu verlieren.”

Die deutsche Budgetpolitik der schwarzen Null laufe aber geradewegs darauf hinaus und müsse deshalb aufgegeben werden.

Konkret sollten die Steuern (auf Arbeit) gesenkt, die Infrastruktur repariert, eine Bildungsoffensive gestartet und die Chancengleichheit verbessert werden.

Mehr Produktivinvestitionen eben, nicht mehr Konsum, meint Stelter, der an den heute handelnden Politicos kein gutes Haar lässt (“Die Politik vernichtet unseren Wohlstand gleich mehrfach”).

Die von deutschen Politicos – mit List und Heimtücke verfolgte – EU-Transferunsion sei nicht nur ein “politisches Projekt gegen jede ökonomische Logik”, sondern gehe auch zu Lasten der Deutschen.

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Mehr produktive Investitionen heute würden dem Staat künftig helfen, die impliziten Schulden, seine  gesetzlich gar nicht festgeschriebenen Leistungsversprechen zu tragen.

Das sei umso wichtiger als, demografisch unvermeidlich, die deutsche Erwerbsbevölkerung zurückgehen werde; dazu komme eine Besorgnis erregende Verlangsamung des Produktivitätsfortschritts.

Diese verderbliche Tendenz könne noch umgedreht werden.

Ohnehin liegt der entscheidende Hebel zur Steigerung der Produktivität in neuen Technologien. Selbstfahrende Autos, die Digitalisierung von Prozessen und die zunehmende Automatisierung stellen eine enorme Chance gerade für Deutschland dar.”

Diesen Weg habe das ebenfalls vergreisende Nippon beschritten.

Japan setzt statt auf Zuwanderung auf eine massive Automatisierung und nutzt dafür auch Künstliche Intelligenz, während bei uns die Angst vor den Folgen der technischen Revolution kultiviert wird.”

Ohne investive und bildungsmäßige Vorbereitungen auf eine Zukunft mit viel weniger Erwerbstätigen drohe Deutschland hingegen eine “massive Altersarmut”, meint Stelter, der beklagt, dass die heutigen Exporterfolge auf

Industrien beruhen, die wir schon aus dem Kaiserreich kennen: Automobil, Maschinen- und Anlagenbau und Chemie dominieren. In neuen Branchen wie der Internetwirtschaft haben wir weitgehend den Anschluss verloren.”

Auf die erste Branche geht Unternehmensberater Stelter speziell ein.

Er zeichnet sie als Riesen auf tönernen Füßen, der sich insbesonders gegen die (heute imaginierte) E-Mobilität sperre – im Gegensatz etwa zu japanischen und amerikanischen Autobauern.

Damit steht die deutsche Automobilindustrie vor einer existenziellen Krise: Die vorhandenen Produktionskapazitäten könnten schon bald nicht mehr benötigt werden (…) Der technologische Vorsprung der deutschen Hersteller gilt nicht mehr in der neuen Welt. Hoch technisierte Verbrennungsmotoren werden einfach nicht mehr gebraucht.”

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Spätestens an dieser Stelle werden für diesen Rezensenten die analytischen Grenzen des Autors überdeutlich:

Im blindwütigen Innovations-Eifer des in der Wolle gefärbten Consulters ist Mahner Stelter nur allzu bereit, das Kind mit dem Bad auszuschütten und 100 Jahre Motorenentwicklung für obsolet zu erklären. 

Von unrealistischen Schimären der Batterietechnologie geblendet, hängt der Mann einem Zukunftsmodell der Industrie an, das eine bloße Fortsetzung der individuellen Massenmobilität des vorigen Jahrhunderts mit anderen Antriebsmitteln ist.

Gegen eine solche Zukunftsschau, die heute von grünen Experten über zentristische Politicos von praktisch allen geteilt wird, mögen sich die teutonischen Autokonzerne wirklich “innovationsfeindlich” ausnehmen.

Trotzdem besteht nach wie vor ein beachtliches Risiko, dass sich diese im Mainstream propagierten Visionen letztlich als weird science entpuppen.

Daniel Stelter, Das Märchen vom Reichen Land. Wie die Politik uns ruiniert. 2018

Nachbemerkung, 23. 10.2018, 12.00 Uhr: Ja, Stelter geißelt auch in scharfen Worten die heutige, humanitär getarnte Förderung unqualifizierter Einwanderung (“Masse statt Klasse”).

Ich hab’ das – wie auch andere Aspekte seines Buchs – nicht extra erwähnt, wg. der gebotenen Kürze meiner Buchbesprechung sowie deswegen, weil der Gegensatz zwischen “Flüchtlingspolitik” und der Förderung qualifizierter Einwanderung seit Jahren völlig offensichtlich ist.

Unabhängiger Journalist

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