Ein schneller Zwischenruf zu LNG – Führt die FT ihre Leser in die Irre?

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LNG-Terminal Zeebrugge

Die FT hat am 30. August  den Artikel EU imports record volumes of liquefied natural gas from Russia online gestellt, der auf die Schnelle den Eindruck erweckt, dass zusätzliche europäische LNG-Importe  aus Russland in irgendeiner Weise die 2022 stattfindende Unterbrechung der Pipeline-Importe aus der RF kompensieren oder gar übertreffen könnten. Diese Mischung aus advocacy journalism und Framing führt in mehrfacher Hinsicht in die Irre. Ein (echter) Faktencheck.

Vorbemerkung: Dieser Blogger misstraut einerseits den Daten von Kpler und ist andererseits nicht bereit, für die monatlichen Werte dieses Branchendiensts zu bezahlen, die in dem hier zerlegten FT-Artikel verwendet werden. Er verlässt sich lieber auf die quasi-offiziellen Jahreszahlen der BP Statistical Review 2022 und der Energy Institute Statistical Review 2023, die trotz des Namenswechsels Folgepublikationen sind, die die Zahlen für2021 und 2022 beinhalten. Das mag Nach-, aber auch Vorteile haben. Einige im FT-Artikel  festgestellte Entwicklungen lassen sich sogar besser durch eine Analyse der BP-Zahlen aufzeigen.

In dem Artikel, der sich auf das Papier einer NGO beruft, wird behauptet,

dass in den ersten sieben Monaten 2023 die LNG-Importe nach Europa um 40 Prozent gegenüber von vor zwei Jahren (sic) bzw. um 1,7 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022 gestiegen sind.

Um mit einer friedlichen Note zu beginnen – das ist auch auf Basis der Ganzjahreszahlen von BP gut möglich, denn:

Der Ende Februar2022 begonnene und bis Mitte Juni für Erdgasimporte weitgehend folgenlose russische Angriff auf die Ukraine hat tatsächlich zu

einem sprunghaften Ansteigen der europäischen Flüssiggas-Importe und einem Rückgang der Pipeline-Einfuhren geführt.

Das zeigt auch die BP-Statistik, die freilich das Business-as-Usual erste Halbjahr mit dem turbulenten zweiten Halbjahr vermengt.

Trotzdem sind die Jahreswerte, die der britische rag – gratis – zwei Monate vorher hätte haben können, aussagekräftiger:

Nach den Zahlen der beiden Statistical Reviews hat Europa im vergangenen Jahr”netto” 162,7 Mrd. Kubikmeter Erdgas von außerhalb  eingeführt, gegenüber bloß 104,4 Mrd. m3 im Jahr 2021.

Das entspricht nach Adam Riese einer Steigerung von ca. 56 Prozent

und die starke Zunahme der LNG-Importe hat bereits 2022, im zweiten Halbjahr stattgefunden.

Haariger wird’s schon bei einer Darstellung, die nahe legt, dass russische LNG-Lieferungen – und in weiterer Folge “Putin” – die großen Gewinner der folgenden Sanktionen wären.

  • Nicht nur dass “Putin” im Gesamtjahr 2022 die Erlöse für gut 80 Mrd. m3 Pipelinegas verloren hat,
  • die (nicht sanktionierten!) zusätzlichen russischen LNG-Lieferungen sind 2022 sichtbar unterproportional gestiegen, von 17,4 auf 19,6 Mrd. Kubikmeter, was einer Zunahme von knapp 13 Prozent entspricht.
  • Im gleichen Zeitraum sind z.B. die US-amerikanischen LNG-Lieferungen nach “(total) Europe” von 30,8 Milliarden auf 72,1 Mrd. m3 gestiegen, was einem Plus von 134% gleich kommt. Wenn dieser Blogger richtig dividiert hat, haben die Amis am europäischen LNG-Markt 2021/22 fünf Prozentpunkte gewonnen und die Russen fünf Prozentpunkte verloren.

Einverstanden also,

dass russische LNG-Importe ’22 zugelegt und möglicherweise auch einen neuen Rekordwert erklommen haben

- sie sind aber viel weniger stark gestiegen als der allgemeine LNG-Verbrauch in Europa (+ 56%, siehe oben) oder gar die US-Lieferungen (eben + 134%, gut 40 Mrd. m3 plus gegenüber 2,2 Mrd. m3 plus).

Trotzdem entschließt sich der Artikelschreiber dazu, die Warze am Rüssel statt den Elephanten im Wohnzimmer zu thematisieren

- und das ist das gute Recht jedes Journalisten (nur sollte er/sie sich nicht wundern, wenn er/sie ggf. nicht mehr ernst genommen wird).

Rein buchstäblich können also sowohl “russisches LNG-Exportwachstum gegenüber Europa” als auch “Rekordmengen” stimmen

- aber das heißt ohne Kontextualisierung nicht viel.

Die Gründe für die oben skizzierte Entwicklung können, wie gesagt, die europäischen “Selbstmord-Sanktionen” sein, oder eine teilweise Lieferunfähigkeit der Russen, wie dieser Blogger nach wie vor argwöhnt).

Bild: Earth Science and Remote Sensing Unit, Lyndon B. Johnson Space Center, Public domain, via Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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