Das österreichische Energieministerium und “seine” vorgeblich unabhängige (“weisungsfreie”) Regulierungsbehörde pflegen eine beunruhigte Öffentlichkeit mit Verweisen auf Füllwerte und Speicherstände (“Storage in TWh”) zu beschwichtigen. Doch wie werthaltig sind die routinemäßig angeführten AGSI-Zahlen tatsächlich? Ein Seitenblick auf Deutschland, für das sowohl AGSI-Daten als auch Import/Exportstatistiken vorliegen, lässt Schlimmes befürchten – dass nämlich die Speicher-Werte des Aggregated Gas Storage Inventory kontrahierte, aber nicht oder nur teilweise ausgelieferte Gasmengen repräsentieren. NB zur argumentativen “Sollbruchstelle” Füllstand.
Oppositionsparteien, Verbände und Journaille in Österreich, die qua (Real)Verfassung die Regierenden eigentlich kontrollieren sollten,
haken heute nicht einmal nach, wenn – wie im Fall Deutschland – die offiziöse Mauer des Schweigens zu bröckeln beginnt und massiver Aufklärungsbedarf sichtbar wird.
Massive Importe in der “toten Saison”
Im Unterschied zu praktisch allen anderen EU-Ländern hat die Bundesnetzagentur vor einigen Monaten u.a. die Erdgas-Import-/Exportzahlen für 2022 ins Netz gestellt, siehe hier.
Eine Durchsicht dieser Daten in den ersten beiden Monaten 2022 enthüllt nur bedingt erklärbare Diskrepanzen zwischen diesen und den AGSI-Werten im gleichen Zeitraum.
Laut BNetzA importierten die deutschen Ferngasnetze im Jänner und Februar 2022 umgerechnet gut 137 TWh Gas (“netto”, also nach Abzug der Re-Exporte, die zur Hälfte nach Tschechien gingen).
Dazu müssten noch ca. 8 – 9 TWh eigene Förderung kommen (die freilich nur 5% des Verbrauchs in Deutschland ausmacht).
Den dortigen Speichern sind laut AGSI in diesem Zeitraum aber keine 145 TWh sondern nur etwa ein Zehntel davon zugeflossen (“Injections”) – nämlich 14.882 GWh, sofern ich richtig addiert habe.
Angesichts eines (realen)Verbrauchs von knapp 70 TWh im Jänner & Februar (“Wthdrawals”) entstand/entsteht aus den womöglich rein buchhalterischen mageren Zuflüssen ein massiver Abbau der Storage-Volumina (was ja “schon immer der Fall war”).
Nun gibt es ein paar mögliche Erklärungen zu dieser Diskrepanz.
Virtuelle Gas-Bestände?
Eine von diesen könnte darin bestehen, dass ein Teil der von D importierten Mengen in in Österreich liegenden Kavernen gespeichert wird
- ohne dass das bei der BNetzA als Export aufscheinen würde.
Im Kleingedruckten diverser Richtlinien stehen manchmal noch wesentlich groteskere Dinge.
Aber würde so etwas ausreichen, dass ein Zufluss von kumuliert 130 TWh “einfach von der Bildfläche verschwindet”?
Dieser Blogger glaubt: Nein.
Er präferiert eine andere Erklärung,
- nach der sowohl die AGSI-Zahlen als auch die von BNetzA vermeldeten Gasflüsse ihre Richtigkeit haben;
- diese sind trotzdem imstande, die Öffentlichkeit massiv in die Irre zu führen.
Dieser Blogger vermutet, dass die grenzüberschreitenden (Brutto-)Gasflüsse nach Deutschland (Importe) – im Jänner und Februar ’22 jeweils etwa 4,5 TWh pro Tag – im AGSI bereits im Sommer und Herbst ’21 “eingebucht”, aber noch nicht geliefert worden sind
und dass die realen Lieferungen dazu erst in den Wintermonaten 2022 erfolgten.
Das ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichst kontinuierlichen Auslastung der Lieferinfrastruktur (Pipelines) wirtschaftlich sinnvoll
und scheint auch bei russischen Verkäufern nie ein Problem hervor gerufen zu haben – wenigstens bis dato haben sie gekaufte Mengen verlässlich geliefert.
Seit dem Einmarsch der Russen in die Ostukraine und den eskalierenden Selbstmordsanktionen EU-Europas sind die “Rahmenbedingungen” freilich völlig andere.
Vor dem Hintergrund eines “heißen Stellvertreterkriegs” in Osteuropa blieben 2022 die russischen Gaslieferungen nach Deutschland peu à peu aus.
Wie den Grafiken der BNetzA zu entnehmen ist, erfolgte der erste große Schritt nach unten in der ersten Juni-Hälfte und betraf mysteriöserweise auch die Transgas (wofür es keine einigermaßen plausible Erklärung gab). Seit Anfang September – drei Wochen vor den Nordstream-Sprengungen – sanken die deutschen Gasimporte aus Russland auf null (inklusive jener über die Transgas).
Das alles schafft eine gegenüber den Vorjahren völlig neue Situation.
Eine zeitverzögerte Lieferung wie noch Anfang 2022 ist ein Jahr später wohl nicht mehr möglich
und wenigstens die von den Russen kontrahierten, aber noch nicht gelieferten Mengen müssten eigentlich “wertberichtigt” werden (vielleicht auch andere).
Außer den jeweiligen Käufern, den Speicherbetreibern und den Regulatoren kann heute freilich niemand einschätzen, wie werthaltig die Einzelpositionen sind, die kumuliert im Storage-Stand des AGSI erscheinen. Nur die Genannten können wissen bzw. einschätzen,
- ob das im AGSI-Storage erscheinende Gas bereits geliefert ist
- und wie ggf. die Chancen stehen, dass dieses noch geliefert wird.
Das alles könnte kein Problem sein
- es besteht aber auch die Möglichkeit, dass das AGSI bzw. die nationalen Regulatoren “aus politischen Gründen” vor einer Wertberichtigung zurückschrecken, obzwar eine solche sachlich angebracht wäre.
Für Gas verbrauchende Haushalte und Unternehmen wäre das jedenfalls keine rein theoretische Frage:
Nicht werthaltige Forderungen gegen einen Lieferanten brennen nämlich schlecht und erzeugen auch keine Wärme.
NB, 21.12.2022, 2:30 Uhr: Natürlich gilt nach wie vor, dass Füllstände (von Speichern in %) von in ihrer Größe stark variierenden Speichern wenig aussagekräftig sind. Aber das ist so offensichtlich, dass man sich fragt, ob hier nicht eine argumentative “Sollbruchstelle” eingebaut worden ist.
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