Darf Barçelona, was Laibach, Zagreb und Pristina durften? Oder darf es das nicht, wie z.B. Simferopol oder Sochumi? Zwei Seelen wohnen, ach, in der Brust aller großen Mächte, haben sie doch im eigenen Hinterhof Fallbeispiele für die eine wie die andere Antwort parat. Auch hier scheint das Recht aus der politischen Macht zu kommen, die wiederum in den Gewehrläufen ihren Ursprung hat.
Das Völkerrecht kennt kein Sezessionsrecht per se, sagen einschlägig spezialisierte Juristen, höchstens ein Selbstbestimmungsrecht.
Das Recht die eigenen politischen Geschicke zu gestalten, ist aber ein Naturrecht, entgegnen daraufhin die Libertären.
Leute, denen derlei systematisch-prinzipielle Antworten zu wenig sind, beginnen daraufhin konkret nachzuforschen und kommen z.B. drauf, dass das Fürstentum von Barçelona, der historische Kern des heutigen Katalonien, Teil der Krone von Aragón war, die um 1500 mit Kastilien fusioniert hat – woraus die spanischen Bourbonen dann einen Zentralstaat gebaut haben (was die Habsburger nicht geschafft haben).
Aber sie kommen auch drauf, dass sich die Bürger von Barçelona über Jahrhunderte hinweg immer wieder dagegen gewehrt haben wie die Zitronen ausgequetscht zu werden (erfolglos).
Und dass die Stadt in jüngerer Zeit das Zentrum linker Anarchisten war, die sich von Madrid (und Franco) auch nichts sagen lassen wollten.
Und – sind sie jetzt eine eigene Nation, die Katalanen, die – wie Schotten oder Kurden – halt keinen eigenen Staat (gehabt) hat?
Fragen über Fragen.
Keine Frage ist, dass Rajoy & Konsorten in der aktuellen Krise ebenso brutal wie selbstschädlich agieren und geradezu erpicht zu sein scheinen, einen sezessionistischen Volksaufstand auszulösen.
Und dass Brüssel nach außen hin leise tritt, aber in Wahrheit voll auf der Seite seiner Freunde in Madrid steht, die paradoxerweise ihre Mit-Putschsten gegen die althergebrachten Verfassungen der EU-Mitgliedsstaaten sind.
Dabei geht es nicht nur um Loyalität gegenüber dem geschätzten Bündnisgenossen, sondern implizit auch um Flandern, das französische Nordkatalonien, und weiß Gott, was noch alles.
Höchstens Schottland und Nordirland in den Zeiten des Brexit könnten den Lügenbaron und seine Mitarbeiter noch ein wenig katalonienfreundlicher stimmen.
Für Zyniker/Realisten empfiehlt sich die Lektüre von Milena Sterios The Right to Self-Determination under International Law aus dem Jahr 2013.
Dort wird die These vertreten, dass die Sezessionsbewegungen, die sich auf das Wohlwollen großer Mächte gestützt haben, erfolgreich waren, die anderen nicht.
Bzw. nuançierend, dass die Erfolgschancen des Separatismus nicht von irgendwelchen internationalen Normen abhängen, sondern vom Stand der Machtverhältnisse in jenen Fällen, in denen einander entgegengesetzte große Mächte an verschiedenen Enden des völkerrechtlichen Taus ziehen.
Bild: Martorell via Wiki Commons, CC-BY-SA-3.0
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