Der west-östliche Machtgamble, der derzeit angeblich um die Ukraine gespielt wird, hat mit der Einstellung der Gaslieferungen an Italien durch Russland und der versuchten Strangulierung der “Turkstream” durch den sg. Westen eine neue Etappe erreicht, in der eines klar erkennbar wurde: Rücksicht auf die (Über-) Lebensinteressen von Europäern wird – anders als bisher – keine mehr genommen. Wer weiter einen Puls haben möchte, verlässt sich besser nicht d’rauf, dass ihn Staat oder Politicos “raushauen”. Die gute Nachricht ist immerhin, dass Europa anscheinend schon heute über die Gasreserven verfügt, um die bevorstehenden Wintermonate zu überstehen.
Das geht aus den “Storage-Werten” des Aggregated Gas Storage Inventory hervor, das per Ende September einen “AGSI-EU-weiten” Speicherstand von umgerechnet 978,6 Terawattstunden aufweist, um gut 13 Prozent höher als vor einem Jahr
(aber etwas weniger als am gleichen Kalendertag in den Jahren 2019 und 2020).
Ändert sich in den kommenden zwei Monaten an den “relativen Gas-Speicherständen” nichts Wesentliches (und fällt der kommende Winter nicht außergewöhnlich hart aus), müssten westeuropäische Wohnungsheizer. aber auch Fabriksbetreiber ohne (größere) Einschränkungen bei Gas durchkommen.
(sofern die aktuellen AGSI-Zahlen korrekt sind und “sonst keine unvorhergesehenen Entwicklungen eintreten”, z.B. serielle Explosionen in europäischen Speicher-Kavernen).
Ersteres kann durchaus zutreffen, weil
- Russland wie bisher größtenteils sehr wohl geliefert hat, hauptsächlich über die Ukraine sowie über Transgas-Leitungen in der Slowakei und Tschechien (womöglich nur via Weißrussland und die Westukraine) und weil
- einerseits die EU-Importmenge von LNG erhöht wurde, andererseits aber “alte” nicht-russische Pipeline-Lieferanten Sonderschichten eingelegt haben.
- Über die von daher kommenden, eher marginalen Mengensteigerungen hinaus darf man davon ausgehen, dass die angeblich neu angezapften nicht-russischen Gasquellen eher dem Wunschdenken unserer sich demokratisch nennenden Politicos entsprechen.
- Das gerade skizzierte bisherige Versorgungsbild der Liefersaison 2022 lässt sich dahingehend resümieren, dass die europäische Gasvorsorge bei der “aktuellen letzten Zwischenzeit” a) deutlich besser lag als vor einem Jahr und b) weitgehend dem Bild der “gasmäßigen Normaljahre” 2020 und 2019 entspricht.
Wie allgemein bekannt, ist es von 2019 – 2021 aber nie zu irgendwelchen Einschränkungen gekommen.
Bevor unangebrachter Jubel ausbricht, müssen an dieser Stelle freilich drei Vorbehalte gemacht werden:
- Erstens bezieht sich obige Aussage nur auf den kommenden Winter 2022/23. Die Liefersaison im Frühling/Sommer 2023 sowie der darauf folgende Winter ist – steht zu befürchten – ein völlig anderes Paar Schuhe,
- Zweitens scheinen beide Konfliktparteien nach wie vor wild entschlossen, den Gas-Fluss von Russland nach Westeuropa zu unterbinden – koste es den sprichwörtlichen “kleinen Mann”, was es wolle (“Mann” hier bitte wie “man/mankind” auffassen!). Beide Seiten verfügen über große “destruktive Fantasie” und jede Menge staatliche Machtmittel.
- Und drittens ist nur von Gas, nicht aber Strom die Rede. Die habituelle deutsche Kohle-Stillegerei und AKW-Abschalte ist ein anderes, eigenes Thema für sich.
Zunächst, weil’s so schön ist, eine Tabelle zum heutigen Stand der Gas-Dinge im Vergleich zu den vergangenen vier Jahren,
die am Beispiel dreier EU-Staaten zeigt, wie sehr die aktuelle Storage-Situation jener der (Gas-)Nicht-Krisenjahre 2019 und 2020 ähnelt.
Herausgegriffen werden die AGSI-Werte für Deutschland, Italien und Österreich zwischen 2018 und 2022 (jeweils Ende September). Etwaige Fehler gehen allein auf meine Kappe.
2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
D | 197 | 236 | 229 | 165 | 225 |
I | 186 | 190 | 193 | 169 | 175 |
A | 64 | 93 | 86 | 51 | 76 |
Die Tabelle zeigt substanzielle Verbesserungen gegenüber dem (negativen) Ausnahmejahr 2021, am wenigsten noch in Italien.
Die “relativen Speicherstände” sind derzeit durch die Bank wesentlich besser als die in diesem Blog laufend analysierten “relativen Speicherstände” im Winterhalbjahr 2021/22.
Die russische Ankündigung, derzeit kein CH4 mehr über die österreichische Transgas nach Italien liefern zu können (oder wollen),
zeigt ex negativo den für diesen Blogger nicht selbstverständlichen Umstand, dass auf der über Österreich laufenden “Südroute” der Transgas weiter geliefcrt wird (wurde);
aller Wahrscheinlichkeit nach passiert das auch auf der (südlichen) TG-Nordroute über Tschechien z.B. nach Waidhaus
- Ukraine-Krieg hin oder her.
Was NATO & Ruskis vereint
Das bedeutet, dass die “Hauptschlagader”, über die z.B. die deutsche und oberitalienische Industrie “mit Prozesswärme versorgt wird”, bis dato intakt geblieben ist
(durch die Transgas-Pipelines fließen immer noch gut zwei Drittel des russischen Erdgases nach Europa; die Transgas allein hat ein Drittel mehr Kapazität als Nordstream 1 und die durch Polen führende Jamal-Nord zusammen genommen; und auch die neue, über den Balkan laufende TurkStream ist mit bis zu 32 Mrd. Kubikmetern jährlicher Nennleistung nicht speziell mächtig).
- Keine der beiden Konfliktparteien “hat diese bisherige Fehlwahrnehmung an die große Glocke gehängt” und keine tut etwas gegen offenkundige Psyops, die eigentlich kinderleicht erkennbar wären - Psyops, die z.B. einen massiven Rückgang der Transfers über Velké Kapušany und somit der TG-Mengen suggerieren.
- Keine der beiden Parteien geht aktiv gegen die weit verbreitete falsche Vorstellung vor, dass die Zulieferung von (und die Entnahme des) Erdgas(es) kontiuierlich erfolgen und nicht einem saisonalen Muster unterworfen sind - was wieder der Vorstellung Vorschub leistet, “Putin” könne aus einer Laune des Augenblicks heraus “den Gashahn zudrehen” und so binnen kurzer Frist das urbane und industrielle Leben in Westeuropa zum Erliegen bringen (die Russen mögen z.B. in der Liefersaison sehr wohl entscheiden nicht mehr zu liefern – aber das hätte erst im folgenden Winter Konsequenzen oder im Fall einer hartnäckigen “Dunkelflaute” meinetwegen etwas früher).
Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, dass beide Seiten der Erwartung eines “im Dunkeln frierenden Europa” faktisch Vorschub leisten und die Gaszuflüsse liebend gern aktiv beenden würden,
dass es ihnen aber extrem wichtig ist, dass wenigstens für das eigene Publikum “die andere Seite schuld ist”.
Mehr noch – die Konfliktparteien sind mit offenem und geschlossenem Visier unterwegs, um eine vorgeblich bekämpfte Malaise real herbeizuführen – ohne dass das allerdings
- unmittelbar gerichtsverwertbar wäre
- und ohne dass es plötzlich, auf einen Schlag käme. Es geht beiden Seiten anscheinend um eine politisch und bürokratisch vernebelte, schrittweise erfolgende, möglichst kontrollierte Demolierung der Energiezufuhr des westlichsten Teils der eurasischen Landmasse. Über die dem zugrunde liegenden Motive kann man nur spekulieren.
Die politischen Vernebelungen umfassen beispielsweise “Sanktionspakete” von möglicherweise legalen, nicht aber legitimen Institutionen auf der einen und “Scheinreferenden” auf der anderen Seite;
und verwaltungstechnische oder bürokratische Nebelgranaten über entzogene Exportlizenzen oder angeblich fehlende oder zu wenig aussagekräftige Papiere;
der militärische und geheimdienstliche Teil schließlich beinhaltet diverse Operationen im ukrainischen Kriegstheater und Sprengungen von Unterwasser-Pipelines (wer immer das gewesen ist).
Was das Vorgehen in Etappen betrifft,
- sei auf das Nordstream-Muster in der Ostsee verwiesen (erst keine behördliche Bewilligung für die neue NS – danach schrittweise Reduktion des Durchflusses durch “die alte Pipeline” – endgültige Einstellung des Flows durch diese – und zuguterletzt die “nachhaltige” physische Unterbrechung der beiden Röhren mit Sprengstoff),
- die Einstellung der Durchleitungen durch das letzte, “polnische” Teilstück der Jamal mit Jahreswechsel 2021/22 (dass in Mallnow seit Monaten kein Gas mehr fließt, ist unzweideutig und nicht bestreitbar).
- Die kürzlich bekannt gewordene Einstellung der russischen Lieferungen an ENI/Italien über die österreichische Transgas sowie das wegen einer fehlenden Lizenz drohende Ende der TurkStream – siehe hier und hier - sind weitere Beispiele für bürokratische Kampfmaßnahmen.
Gegenmaßnahmen, nicht zu früh und nicht zu spät
Vielleicht ist dies zwischen den angeblichen Feinden alles abgesprochen oder sonstwie koordiniert.
Nichts davon ist jedenfalls als gesichertes Wissen öffentlich zugänglich – nur das aufeinander abgestimmte Handeln der vorgeblich feindlichen Akteure NATO & Russland ist deutlich erkennbar.
Das, deren Entschlossenheit, sowie ihre übervolle “Waffenkammer” und der unübersehbare Vektor ihres Handelns
legt jedoch “eigenständige Gegenmaßnahmen von unten” nahe; Gegenmaßnahmen gegen Kräfte und Gewalten, die einem selbst und seiner Familie ans Leder wollen.
Gegenmaßnahmen, die nicht schon verpuffen, wenn ein zu früh erwarteter Kataklysmus nicht eintritt.
Bis zur völligen Klarheit über die Zusammenarbeit der angeblichen Feinde zuzuwarten
- könnte sich als zu spät entpuppen.
- Leider kann “das Leben” aber auch den, der zu früh kommt, bestrafen.
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