“Populismus”: Die Gutbürger und ihr Extremismus des Status Quo

Seit dem unerwarteten Wahlsieg Trumps in den USA ist der Begriff Populismus allgegenwärtig. Es bedeutet, dass unsere demokratischen Politiker, die wenig falsch gemacht, aber schlecht kommuniziert haben, von grimmigen Demagogen bedroht werden, die nicht aufgeklärtes Volk gegen sie aufwiegeln. Das ist eine Verdrehung, die den echten Populisten Unrecht tut. Gemeint ist eher der Aufstand gegen den jüngsten Status Quo, einen tendenziell verfassungsfeindlichen Zustand, den die Politicos und ihre Helfer selbst herbeigeführt haben.

Der erreichte Status Quo, erklärt der Mainstream, sei der heute eigentlich normale Zustand. Und wenn er das, für jedermann erkennbar, nicht ist, dann müssen eben in vorangegangenen Jahrzehnten erreichte Veränderungen in den Zeugenstand gerufen werden. Das geht etwa so:

Wir können heute nicht mehr so tun, als gäbe es keine Globalisierung (und dürfen daher nicht mehr auf Volkssouveränität oder Grenzsicherung bestehen).”

Oder:

Die Wissenschaft hat eindeutig festgestellt, dass Kohlendioxid für den Klimawandel verantwortlich ist (und daher sollen die Europäer, die nur mehr zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes stellen, aufhören fossile Brennstoffe zu verwenden).”

Derlei ist eigentlich ein stinknormaler Mindfuck, wie man dies auf Neudeutsch ausdrücken würde.

Populisten nach heutiger Definition sind welche, die den behaupteten Gang der Geschichte oder die angeblich gesicherten  Erkenntnisse der Wissenschaft leugnen, oder die gegen den Anstand verstoßen – ganz egal, ob sie sich dabei in Übereinstimmung mit den Legitimationsgrundlagen ihres Staats oder auch nur dessen Positivem Recht befinden (was oft der Fall ist).

Sie werden von Wutbürgern gewählt. Jedenfalls sind es üble Demagogen, dämonische Irrlichter, die man mit politischer Erwachsenenbildung oder Polizei und Gesinnungsjustiz austreiben kann  :mrgreen:   .

Es tut dabei nichts zur Sache, dass es meist

  • Populisten nach heutiger Definition sind, die darauf bestehen, dass die (relativ) geschlossenen Solidargemeinschaften geschlossen und damit lebensfähig bleiben bzw. dass die Einwanderungsgesetze exekutiert werden (“Fremdenfeindlichkeit”, “Mauerbau”);
  • Populisten nach heutiger Definition sind, die auf das demokratische Prinzip der Herrschaft (Tyrannei) der Mehrheit pochen und Instrumente direkter Demokratie ausbauen möchten, obwohl sie der Theorie nach eigentlich eine autoritäre Herrschaft anstreben und ihre Gegner mit der Polizei verfolgen wollen;
  • europäische Populisten nach heutiger Definition sind, die sich gegen den gegenwärtigen politischen Zustand der EU wehren, zu dem es a) durchaus Alternativen gäbe und der b) auf heimtückische Art und hinter dem Rücken der Wahlbevölkerungen erreicht worden ist.

Der Populismus-kritische Extremismus des jüngsten Status quo, die Gutbürger, behaupten dagegen letztlich,

  • dass erworbene sozialrechtliche Ansprüche mit mit Menschenrechten begründeten gleichzustellen (= faktisch nachzureihen) seien,
  • dass das demokratische Prinzip unbegründet sei, sofern es ideologischen oder wissenschaftlichen echten Erkenntnissen widerspreche sowie
  • dass nationalstaatliche Verfassungen weichen müssten, wenn sie mit Europa in Konflikt kämen, im Klartext: einer  supranationalistischen Version der Europäischen Union.

Die Folge ist, dass Politiker wie der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer zu rechten Extremisten erklärt werden, was dem Augenschein so sehr widerspricht, dass die Leute am Geisteszustand jener zu zweifeln beginnen, die so etwas in den Raum stellen.

Echter Populismus

Das heißt natürlich nicht, es gäbe keinen authentischen Populismus. Es gibt ihn und oft tritt dieser auch gemeinsam mit einer (selbst)schädlichen Form von Nationalismus auf.

Hier nur drei Hinweise:

  • Der moderne Populismus entstand in den USA. Er war hauptsächlich eine agrarische Bewegung, die sich gegen die “Plutokratie”, das heißt den “Finanzkapitalismus” und seine Unterstützer wandte. Diese Stömung vermengte sich über die Jahrzehnte mit anderen Parteien, wurde aus eigener Kraft aber nie erfolgreich, wenigstens nicht überregional.
  • In Lateinamerika gibt es traditionellerweise mehr populistische als nicht-populistische Politiker und eine Menge Regime unter der Führung charismatischer Politiker, die mehr oder weniger autoritär regierten (meist aber keine klassischen Militärdiktatoren waren). Der bekannteste war Juan Domingo Perón (Argentinien). Die regierenden Populisten Lateinamerikas gelangten typischerweise über Wahlen an die Macht und hatten eine Massenanhängerschaft, die angeblich angestrebte Modernisierung von Staat und Wirtschaft gelang aber nirgendwo.
  • Populismus gibt es aber auch in Europa, üblicherweie in einer “parlamentarisch-demokratischen” Spielart. Beispielsweise in Griechenland. Takis Pappas hat analysiert, wie Pasok und Nia Dimokratia jahrzehntelange Vorarbeiten für die griechische Staatspleite geleistet haben. Es handelte sich um einen Populismus zentristischer Volksparteien, nicht einen des rechten oder linken Randes. 2015 habe ich hier schon einmal drüber geschrieben. Der Übergang von dort zu populistischen Politiken auch mitteleuropäischer Volksparteien ist fließend.

Unabhängiger Journalist

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