Vom Konsens der Regierten zur Tolerierung der Regierenden

Der consent of the governed, das A & O aller Demokratietheorie, ist zur provisorischen Duldung der politischen Funktionselite degeneriert. Es bedarf nur noch einiger zusätzlicher gebrochener Versprechen, um auch dieses Kapitel zu beenden. Oder einer traumatischen Läuterungserfahrung.

In der US-Unabhängigkeitserklärung von 1776 gibt es eine berühmte Passage, in der von der “Zustimmung der Regierten” gesprochen wird, eine Formulierung, mit der noch unsere heutigen Regierungen ihre Berechtigung begründen, zumindest im Kern.

Das ist ein Begriff, der eine gewisse Plumpheit verrät und der wahrscheinlich schon vor 200 Jahren nicht allzu gut beschrieben hat, was gemeint ist. Aber es ist klar, worauf das Konzept hinausläuft – jedenfalls nicht auf den unerforschlichen Ratschluss Gottes und schon gar nicht auf die Gewalt der blanken Waffe.

In den liberalen Demokratien der Gegenwart, heißt es manchmal, ist davon nur ein stilles Nicken der schweigenden Mehrheit übrig geblieben – zumindest glauben das unsere Politiker.

Realistischer ist wohl die Formulierung, dass die Leute stillhalten, weil sie keine Alternative sehen. Der ursprünglich beschworene republikanische Konsens hat sich in eine Abwesenheit von offener Rebellion verwandelt. Die Regierungen und ihre oppositionsähnlichen Anhängsel werden vom Volk bis auf weiteres nur mehr toleriert.

Speziell für Österreich, das vor gar nicht allzulanger Zeit noch souverän war, gilt: das wichtigste Bestimmungsstück der staatlichen Freiheit, die Nichtbeherrschung von außen (non domination), oder positiv formuliert: seine staatliche Selbstbestimmung (self mastery), sind spätestens seit der Jahrtausendwende Vergangenheit.

Das geschah unter tatkräftiger Mithilfe unserer Politikerkaste.

Das war deswegen so, weil unsere Brahmanen es nicht geschafft haben, die bis dahin bestehende res publica – das Fundament ihres eigenen politischen Daseins – so weit zu adaptieren, dass die immer stärkere Entfremdung des Volks vom Staat eingedämmt werden konnte. Philipp Pettit erklärt die Dinge, die eigentlich erforderlich gewesen wären, folgendermaßen:

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Pettit, Republicanism, p.277

Er sagt: Da es immer einen Ermessenspielraum geben wird, ist es notwendig, Mechanismen zu finden, die verhindern, dass dieser zum Nachteil des Volks genutzt wird. Es müssten “systemische Möglichkeiten” gefunden werden, die es Otto Normalbürger ermöglichten, seiner Regierung in den Arm zu fallen. Die Vorhaben und Handlungen republikanischer Regierungen müssten im Wettbewerb mit Anfechtungen durch das Volk bestehen können. Es gehe gar nicht darum, dass die Regierungshandlungen “ein Produkt des Volkswillens sind.” (natürlich versteht Pettit unter der Selbstbehauptung der Regierung nicht den Einsatz von Polizeigewalt).

Nun – das ist ein Konzept, das für die heutige Wirklichkeit repräsentativer Demokratien in hoch mediatisierten Gesellschaften gut geeignet scheint; besser als die etwas mysteriöse, mitunter gefährliche Metapher von der volonté generale.

Wie steht es nun mit diesem Mechanismus? Ist bei uns derlei geschaffen worden ?

Leider ist es damit genauso Essig gewesen wie mit der nobelsten Aufgabe republikanischer Politik, der Sicherung der Selbstbestimmung nach außen. Es gibt hierzulande keine funktionierenden systemischen Möglichkeiten der Kontestation des Regierungswillens. Es gab höchstens Volksabstimmungen über Detailprobleme, zu deren Lösung das politische Management ja eigentlich gewählt worden ist (und gut bezahlt wird).

Nur in raren Ausnahmefällen, in denen sich das herrschende Polit-Kartell selbst nicht einig war, wurde dem Pseudo-Souverän gestattet, seinen Herrschaften ins Handwerk zu pfuschen (Volksbefragung zur Wehrpflicht)

Das ist die Attitüde selbstherrlichen Bonzentums, die nicht nur inkorrekten Journos und Oppositions-Politicos einen verpönten Satz entfahren lässt: “Jagt sie wie die Hasen !”

Leiser Euro-Putsch

Der Prozess der europäischen Integration, die ein seit Jahrzehnten am Steuerruder stehendes Machtkartell dem Pseudo-Souverän oktroyiert hat, ist ein gutes Beispiel dafür,  dass nie ernsthaft an die Einführung eines solchen Kontestations-Mechanismus gedacht wurde. Statt sich dem Wettbewerb bzw. dem Widerstand des Volkswillens zu stellen, haben die gewählten Verräter immer mehr Bereiche dem Zugriff des Pseudo-Souveräns entzogen. Schritt für Schritt und über viele Jahre verteilt.

Alles andere, sind sich diese Leute einig, wäre Populismus !.

Heute existiert nur noch ein Firnis, wo einst dicker republikanisch-demokratischer Anstrich war. Um dies Verständnis heischend, plakativ und unter Verwendung eines mysteriösen Begriffs zu sagen: Österreichische Regierung und Parlament werden nicht mehr vom Allgemeinen Willen getragen. Schon lange nicht mehr.

Damit sind auch die Insaßen der Institutionen (politisch) überflüssig geworden und Geschicklichkeit, Charisma und Staatskunst sind auch nicht der Grund, warum sie ihre Ämter bekleiden.

Die demokratischen Funktionseliten haben ihren in den Startlöchern scharrenden Nachfolgern den Weg geebnet. Diese werden sich dafür erkenntlich zeigen, indem sie die Ersteren nach allen Regeln der Kunst durch einen Justizapparat verfolgen lassen, den sie von den heutigen Hin- und Rücksichten befreit haben – KHG lässt grüßen !

Sie selbst sind gegenüber den ihnen anvertrauten Prinzipien und Funktionen illoyal geworden und haben dadurch erkennen lassen, dass es gar keiner demokratisch legitimierten Verwaltungsspezialisten bedarf. Anderweitige Verwaltungsspezialisten tun es auch.

Das wird dem Ex-Souverän bald dämmern. Er wird, er muss leidvoll erkennen, dass das große Politexperiment der vergangenen 100 Jahre fehlgeschlagen ist. Den überwiegenden Teil der Verantwortung müsste er sich eigentlich selbst (und seinen Eltern und Großeltern) zumessen – schließlich hat er sich üblicherweise nicht um “seine” res publica gekümmert. Es scheint aber wahrscheinlich – und wäre nur menschlich -, dass er diesen Umstand verdrängen, alle Mitschuld auf die alten Funktionseliten abwälzen und Laternenorden vergeben wird. Zu diesem Zeitpunkt ist derlei zu spät. Es wird versäumte Gelegenheiten nicht mehr zurückbringen.

Das Ende der Duldung

512px-Common_clownfishNoch unternimmt der Pseudo-Souverän nichts gegen die demokratischen Funktionseliten in seinem Pelz. Er hängt zwar schon länger der Idee an, dass sie “Parasiten” sind, die von seinem Blut leben – aber er weiß auch, dass die Natur es oft so eingerichtet hat, dass Wirte und Parasiten existenziell aufeinander angewiesen sind; manchmal so stark, das man nur von einer Symbiose sprechen kann. Zum Beispiel zwischen Falschem Clownfisch und Prachtanemone.

Der Kleine Mann denkt sich: “So lange die Clowns halten, was sie uns explizit und implizit versprochen haben, können sie bleiben. So lange wollen wir den Zirkus gerne dulden.” Aber er ist misstrauisch geworden. Der Verdacht der Gaukelei hängt schon deutlich im Raum.

Der Pseudo-Souverän scheint sogar den konkreten Trick durchschaut zu haben, mit dem die Illusionskünstler den Kopf aus der Schlinge ziehen wollen: Es geht um das Abschmelzen einer mit ihrer Hilfe aufgebauten Mentalität, der Anspruchsmentalität einer Untergruppe. Auch diese soll in nicht wahrnehmbaren, winzigen Trippelschrittchen beseitigt werden.

Wenn dann der Pseudo-Souverän in einer jähzornigen Aufwallung auf den Tisch haut und schreit: “So haben wir nicht gewettet !”, antworten die Gaukler: “Was hast du denn ? Ich habe Dir nie einen Rosengarten mit schönem Wetter versprochen!”

Natürlich haben sie das getan, vielleicht ohne einen formvollendeten Vertrag unterzeichnet zu haben: das Überleben ohne Arbeit, ein Auskommen ohne Erwerbseinkommen, geringfügige Beschäftigungslosigkeit, Multikulti ohne Konflikte, Rente ohne Kinderaufzucht, soziale Sicherheit zu vernachlässigbaren Kosten, laufendes Wachstum auf Pump oder die Zusicherung, Erpartes behalten zu dürfen. Sich selbst haben die Gaukler schon einmal lukrative Jobs gegönnt, denen in rückenfreundlicher Schonhaltung nachgekommen werden kann.

Heute, wo klar geworden ist, dass diese Versprechen nicht einmal mittelfristig haltbar sind, schwimmen den Politicos die Felle davon. Das Ende der so teuer erkauften Tolerierung zeichnet sich ab.

Die Frage ist nur, ob der Pseudo-Souverän auf die nächste Heiratsschwindlerin hineinfällt, oder ob er aus den Täuschungen und Ent-Täuschungen der jüngeren Vergangenheit gelernt hat.

In Europa mag man noch von der Diktatur nachkommenloser Wertschöpfungsverweigerer träumen – der Traum eines zukunftsfähigen Erwachsenen war und ist solches aber nicht.

Foto: Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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