Während die Politicos Schritt für Schritt die Grundlagen für eine wirklich liberale i.e. regierungsferne Öffentlichkeit abschaffen, täuschen ihre Gewährsleute in der Presse vor, sie würden “von Berufs wegen Tatsachen überprüfen”. Auf einen solchen Trick hätte Metternich nicht verfallen können, weil die Organe, auf die er sich hätte stützen können, als Abkömmlinge seiner Polizei identifizierbar waren. Das ist heute nicht mehr so.NB Medien unter Druck.NB II zur Endbilanz der Aleppo-Evakuierung.
Heute pochen die Medien auf den Anspruch, die Geschichtchen, mit denen sie ihre Leser unterhalten, seien faktengechecktes, sozusagen qualitätsgesichertes Material-
doch was davon zu halten ist, zeigt eine Evaluierung der Nachrichten um Aleppo-Ost während der vergangenen 14 Tage.
Selbst Beobachtern, die nur begrenzt alternative Zugänge haben, wird schnell klar, wie sehr sich die Medien am Nasenring durch die Arena ziehen und für den Informationskrieg einsetzen lassen;
also die selben Leute und Institutionen, denen die Medienkonsumenten doch bitte vertrauen sollten - im Gegensatz zu den alternativen Anbietern, die primär fake news lieferten.
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Viel ist allein für den Beispielfall Aleppo vorauszuschicken und jede solche Einlassung muss bei den fünf großen Agenturen beginnen, die die Berichterstattung in den westlichen Medien prägen: Reuters, AP, AFP und dpa sowie – immer öfter auch außerhalb des Finanzbereichs – Bloomberg.
Von diesen Weißen Elefanten bekommen die Endverbraucher-Medien das Rohmaterial. das sie selektiv, ungeprüft und meist ohne jede Quellenkritik verwenden.
Besagte Agenturen unterhalten einerseits Stringer (Mitarbeiter) in den “Krisenregionen” (zu deren Unabhängigkeit siehe weiter unten). Die Agenturen sind es aber auch, die die News in den internationalen Zentren z.B. von UNO oder Rotem Kreuz entgegen nehmen und entsprechend aufgemacht auf die Reise schicken.
Wie der Tenor ausfällt, der ihrer Berichterstattung zugrunde liegt, hängt von den Bedürfnissen ab, die das politische System des Westens bzw. dessen aktueller Hegemon hat.
Überhöhte Zivilistenzahlen
Für Aleppo war in den vergangenen 14 Tagen lautes Wehklagen über die dortigen humanitären Zustände angesetzt – über eine Krise, die in Syrien an Dutzenden anderen Orten noch krasser stattfindet – die von den Medien aber nicht einmal eines Seitenblicks gewürdigt wird.
Der militärische Sinn des Gejammers bestand darin, möglichst günstige Bedingungen für den Abzug der “moderaten Rebellen” (siehe unten) zu sichern, die von den westlichen Staaten und den Golf-Arabern unterstützt werden.
Es handelte sich um eine Operation im Rahmen des Informationskriegs. Der Fachausdruck dafür lautet weaponized information, also Information, aus der eine Waffe gemacht worden war.
Um in den westlichen Medien eine außergewöhnliche humanitäre Krise produzieren zu können, musste das Ausmaß des menschlichen Leids, das durch Belagerung und Kriegshandlungen der Regierungstruppen stattfand, zusätzlich hochgejazzt und auf die “würdigsten”, d.h. die verwundbarsten Opfergruppen – Kinder, Frauen und Alte – transponiert werden.
Zu diesem Behuf berichteten die Medien bis Anfang vorletzter Woche von Hunderttausenden Zivilisten, die im Ostteil der Stadt eingeschlossen wären, bevor sie ab 12. Dezember dazu übergingen von Hunderttausend (Einzahl) zu sprechen.
Am Donnerstag, den 14. Dezember – knapp vor dem ersten Evakuierungsversuch -, warf Sondergesandter Staffan de Mistura die Zahl von 50.000 Zivilisten und 5.000 Kämpfern in die Runde (ein Statement, das nachprüfbar stettgefunden hat):
De Mistura erreichte damit den Bereich realistischer Angaben – obwohl sich in den Folgetagen heraus stellte, dass seine Schätzuing noch immer um rund das Doppelte zu hoch war.
Im Endeffekt scheinen gut 25.000 Kämpfer und Zivilisten abtransportiert worden zu sein.
Diese Zahl entspricht ziemlich genau der (Brutto-)Einwohnerzahl jener vier schiitischen Dörfer, die als Gegenleistung in Idlib evakuiert werden dürfen (worden sind), siehe hier und hier zu dem zugrunde liegenden Deal. Wer die Entwicklung seit vergangenem Donnerstag nachvollziehen will, kann sich zunächst zwei Presseaussendungen des Internationalen Roten Kreuzes ansehen, eine vom 15. Dezember, in der davon gesprochen wird, dass Busse 3.000 Menschen abgeholt hätten und eine vom 17. Dezember, als bereits 10.000 evakuiert waren.Bis inklusive Dienstag den 20. Dezember hat das Rote Kreuz bzw. seine mohammedanische Schwesterorganisation weitere 15.000 aus Aleppo weg gebracht, was aus dieser Meldung der Deutschen Welle hervorgeht, die aus Berichten von dpa, AFP und Reuters zusammengestoppelt worden ist.
Damit waren Evakuierung und die (Des)Informationsoperation im Wesentlichen beendet und als Positivum bleibt, dass die moderaten Rebellen und ihre Angehörigen aus der Schusslinie gebracht werden konnten (und dass das hoffentlich auch für die evacuees aus dem Schiitendörfern in Idlib zutrifft).
Faktencheck á la Spiegel
Das Resümee, das über die an der Syrien-Berichterstattung beteiligte Journaille gezogen werden muss, ist weniger versöhnlich:
Nicht nur, dass in Texten dieses Typs i.d.R. keine echten Faktenchecks stattfinden; nicht nur, dass i.d.R. ohne zu denken und ohne Gespür für Größenordnungen und Proportionen abgeschrieben wird; nicht nur, dass damit zur Strategie einer kriegführenden Partei beigetragen wird -
jetzt werden die Journos, die diese Nachrichtensimulation durchführen, auch noch in den Zeugenstand gerufen, um als Experten für real news auszusagen.
Beispielsweise Christoph Sydow, ein Sitzredakteur von Spiegel Online, der hier zum Faktencheck über die Assad-Versteherin (Eva Bartlett) und ihre Wahrheit über Syrien gebeten wird. Hier ist das Spiegel-Video dazu:
Die Bartlett, die den Medien-Mandarinen vorgeworfen hatte, die Öffentlichkeit systematisch in die Irre zu führen, hat ein viral gewordenes YT-Video produziert, zu dem SPON-Christoph seinen Senf geben musste (es ist ihm immerhin anzusehen, dass ihm das peinlich ist).
Eine Hauptpointe dabei ist, dass ein Agenturmeldungsverschneider und Bürohengst die Aussagen einer Journalistin-Aktivistin bewertet, die immerhin im westlichen Aleppo war, und eine weitere, dass Sydow meint, dass das syrische Regime dafür verantwortlich sei, dass die internationalen Organisationen keine Vertretung im Osten der Stadt (gehabt) hätten.
Der arme Tropf hätte nur in diesen Aufsatz von Patrick Cockburn oder in diesen Bericht eines ehemaligen Amnesty Interntional-Funktionärs hiineinzulesen brauchen, um sich über die unakzeptablen Bedingungen klar zu werden, unter denen Journos und Vertreter internationaler Organisationen arbeiten hätten müssen;
und dass die von den “moderaten Rebellen” diktierten Bediungungen auch für syrische Stellvertreter gegolten haben.
Any genuinely independent journalists or activists are targeted, according to the report. Speaking of Jabhat al-Nusra (which has renamed itself Jabhat Fatah al-Sham and was formerly the Syrian branch of al-Qaeda), a 24-year-old media activist called “Issa” said “they are in control of what we can and cannot say. You either agree with their social rules and policies or you disappear.”
Faktenchecker wie Sydow sind entweder genuin schlecht informiert oder gewollt so naiv, dass sie sich etwa zu fragen trauen, warum dieser “Bürgerkrieg” nicht als Bürgerkrieg bezeichnet werden solle, wo doch (auch) Syrer gegen Syrer kämpften.
Expertisen nach dieser Art sind etwa so sinnvoll als würde man von jemandem eine schlüssige Aussage über einen literarischen Text erwarten, der nach eigenem Bekunden nicht einmal des Lesens mächtig ist.
Bild: Unbekannter Zeichner (Leuchtturm) [Public domain], via Wikimedia Commons
Nachbemerkung, 21.12., 16.30 Uhr: Vielleicht hab ich mich zum Thema Zahlen-Lizitiererei für Aleppo-Ost nicht optimal ausgedrückt.
Die Medien haben ihre grotesk überhöhten Angaben nicht in Folge eines Erkenntnisprozesses zurückgenommen, sondern weil sie von mehreren Seiten unter Druck geraten sind. Zum Beispiel durch Blogs wie dem meinigen, die sich über die Berichterstattung zunehmend lustig gemacht haben.
Teilweise sind aber auch ihre eigenen Manager unruhig geworden, die sich öffentlich nicht sagen lassen wollen (dürfen), dass sich ihre Leute in haltlosen Übertreibungen ergehen.
Die UNO hat auch nicht wirklich optimal mitgespielt.
Der Druck war ungleich verteilt, an einigen Stellen aber beträchtlich. Heute ist die Lügenpresse froh, dass die Sache demnächst ins Erinnerungloch fällt. Auf ein Neues!
Nachbemerkung II, 23.12., 8.00 Uhr: Das Rote Kreuz (der Halbmond) behauptet, man habe 35.000 aus Aleppo evakuiert. 10.000 Menschen an einem Tag sind zwar ein bisschen viel, die Zahl liegt aber im Bereich des Möglichen. 35.000 also, nicht 100.000.
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