Zweierlei Neutralität

Karl Nehammer wird ähnlich wie Leopold Figl der NöVP zugeordnet (die in 1. Republik und Ständestaat noch anders geheißen hat) – die Schuhe des zweiten Kanzlers der Zweiten Republik sind Ersterem aber nachhaltig um ein paar Nummern zu groß. Hoffentlich hat Nehammer das eingesehen und den Russen bei seinem jüngsten Besuch im Kreml erklärt, dass er  nicht jeden Halbsatz, den er sagt, zuvor dreimal auf Unbedenklichkeit abklopfen lassen kann.

Wie von der hiesigen Journaille bis zur Unerträglichkeit breit getreten,

hat N. als erster Regierungschef der Union “Putin” besucht,

was leider (oder Gott sei Dank) von der Journaille im befreundeten Ausland nicht gebührend wahrgenommen wurde.

Ob im Treffen der ungleichen Staatsmänner Substanzielles besprochen wurde, ist unbekannt.

Es kann aber sein, dass N nicht mit dem russischen Präsidenten geschimpft (wie nachher unseren Journos erzählt),

sondern dass er Schadensbegrenzung für einen Fehler betrieben hat;

einen “Sager” in der  ORF-Pressestunde, wonach die österreichische Neutralität anno 1955 innerhalb eines “Druckszenarios” beschlossen worden sei

- was man ggf. so interpretieren kann, dass Verpflichtungen, die nicht aus freien Stücken eingegangen worden sind, eigentlich nicht erfüllt werden müssen.

Nehammers Charakterisierung ist “realhistorisch” aber nicht so falsch

(man könnte fast alles, was sich nach 1945 in Europa abspielte, so oder ähnlich beschreiben).

***

Es ist hierzulande jedem Volksschüler klar, dass zwischen dem Staatsvertrag im Mai und dem Neutralitätsgesetz im Oktober 1955

ein enger Zusammenhang existiert und dass es ohne das spätere Neutralitätsgesetz Figls “Österreich ist frei!” vom Mai nicht gegeben hätte.

G’Studierte wissen sogar, dass die Sowjets die Neutralität ursprünglich im Staatsvertrag verankert sehen wollten,

dass sie von Raab, Schärf, Figl und Kreisky aber überzeugt werden konnten, dass es besser ausschauen würde, wenn ein “echtes” österreichisches Parlament die Neutralität beschlösse.

Das wurde zwei Jahre später dann auch so gemacht.

Zweifellos geschah dies innerhalb eines “Druckszenarios”,

wobei der Druck darin bestand, dass die Republik Österreich andernfalls halt zweigeteilt worden wäre wie das (ehemalige?) “Deutsche Reich in den Grenzen von 1937″.

Das alles mag später zum kleinösterreichischen Staatsmythos aufgeblasen worden sein,

aber im Original war es ein Glücksfall, gepaart mit guter Politik/Diplomatie.

Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz waren letztlich ausschlaggebend, dass die östliche Alpenrepublik über die nächsten 40 Jahre Sowjets (und Amis) nicht mehr an der Backe hatte (wenigstens weitgehend nicht).

In den ersten Jahrzehnten post factum waren noch Politiker am Ruder, die 1945 ff. miterlebt hatten und daher nachvollziehen konnten,

was Wert und Preis von StaatsvertragsNeutralität waren und ihr Urteil war eindeutig

(auch dieser Blogger meint, dass Obiges alles in allem ein “gutes Geschäft” war).

Aber nach und nach kamen Politico-Generationen an die Macht,

die an den Traum von der schrankenlosen Selbstbestimmtheit glaubten und/oder denen heuchlerisches Aufpudeln als Mittel der Politik wichtiger war.

Nehammer gehört zu einer solchen Generation

- aber er ist nicht irgendwer, sondern aktuell der zweit- oder dritthöchste Interpret dessen, was die Republik Österreich unter Neutralität versteht

(in den 1990ern, vor dem EU-Beitritt, bestand Wien ja immer wieder darauf, dass es allein bestimme, was mit seiner Neutralität vereinbar sei und was nicht).

Die Russische Föderation, Rechtsnachfolgerin des Signatarstaats Sowjetunion, tolerierte das – wohl, weil die damalige Interpretation keinen Hinweis auf zwanghafte Entstehungsumstände des Neutralitätsgesetzes enthielt.

Das freilich konnte man, wenn man wollte, aus Nehammers “Pressestunde-Sager” herauslesen.

Nehammer ruderte in den Folgetagen zurück,

aber in den Augen Moskaus war der Schaden schon geschehen;

nicht so sehr im heutigen Österreich, das den Russen militärstrategisch am A. vorbei geht, sondern in Weißrussland, wo Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine über die Bühne gingen

- zweifellos auch “in einem gewissen Druckszenario”  :mrgreen:

Ich weiß ja nicht, wie ernst es den Russen mit ihrem Vorschlag zur “Neutralisierung” der Ukraine war/ist und bin mir auch bewusst, dass in der Ukraine die Konflikte zwischen ethnischen (linguistischen) Russen und Ruthenen größer sind als sagen wir: zwischen Wienern und Tirolern.

Aber in der geographischen Lage, in der die Ukraine liegt, würde ich einen Versuch wagen

- auch auf die “Gefahr” hin, gegen NATO-Einrichtungen im eigenen Land ernsthaft vorgehen zu müssen.

Unabhängiger Journalist

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