Benjamin Netanjahu ist ein erfolgreicher Vertreibungspolitiker. Unter diesem Ministerpräsidenten mit seiner wackligen Regierungskoalition führ(t)en die sg Israelischen Verteidigungsstreitkräfte seit 7. Oktober einen “Gegenschlag” durch, der mittlerweile das zirka 25-Fache an (hauptsächlich palästinensischen) Todesopfern gefordert hat (ca. 30.000) als der Anlass der Gaza-Säuberungsaktion am 7. Oktober an hauptsächlich israelischen Bürgern (1.200). 240 als Geiseln Verschleppten, ausschleßlich israelischen Opfern, stehen Millionen hauptsächlich palästinensischer Vertriebener gegenüber – rund zwei Millionen nach der absehbaren Beendigung der Militäraktion. Dennoch könnte der erfolgreichste israelische Vertrebungspolitiker seit langem danach zurücktreten. Warum bloß?
“All warfare is based on deception. Hence, when we are able to attack, we must seem unable; when using our forces, we must appear inactive; when we are near, we must make the enemy believe we are far away; when far away, we must make him believe we are near.” Sun Tzu, The Art of War, um 500 v. Chr.
Dass sich Netanjahu nach Abschluss der Vertreibungsaktion vorerst zurückzuziehen gedenkt, hat (auch) im fernen Österreich ein Beobachter aus Interview-Andeutungen geschlossen, die der israelische Premier Ende Jänner gemacht hat.
Der Beobachter, ein Rechtsanwalt und Historiker, der mit hiesigen politischen Spiegelfechtereien ebenso vertraut sein dürfte wie mit offizieller und inoffizieller Zeitgeschichte,
sieht eine mögliche historische Analogie der heutigen Situation mit dem Jom-Kippur-Krieg vor 50 Jahren, der trotz eines militärischen Erfolgs für Israel zum Rücktritt der damaligen Regierungschefin Golda Meir, einer Sozialdemokratin, führte.
Zurückgetreten ist damals auch deren Verteidigungsminister Mosche Dajan, der in den 1960er-Jahren auch Mitglied der sozialdemokratischen Kabinette Ben-Gurion, Eschkol und eben Meir war.
Etwa fünf Jahre nach seinem Rücktritt tauchte Dajan übrigens als Außenminister der “rechtszionistischen” Likud-Regierung Menachem Begins wieder auf (Likud entstand formell erst Jahre später).
Obwohl D. seit 1959 Ministerämter bekleidete, tut man sich freilich schwer, den Mann mit der Augenklappe anders denn als “Krieger bzw. Berufssoldat” einzuordnen.
Dajan nahm u.a. in verschiedenen Positionen am israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 teil und befehligte schon als Oberkommandierender den Sinai-Feldzug 1956.
Die mögliche Analogie, auf die der Beitrag des Wiener Beobachters abhebt, ist eine, die der hiesigen Öffentlichkeit kaum,
der israelischen aber weitgehend bekannt ist (wäre).
Sie kreist um den Begriff der “intelligence failure”, einer (angeblichen) Geheimdienst-/Aufklärungspleite, die dadurch entstanden ist, dass die zuständige Bürokratie (äußere) Bedrohungen nicht wahrgenommen bzw. nicht weitergeleitet hat.
Jeder heutige Zeitungsleser kennt dieses Element aus dem Narrativ des aktuellen “Vergeltungsschlags” gegen israel-exterministische Hamas-Terroristen, das im Licht nüchterner Zahlen freilich eher wie eine militärisch geplante und ausgeführte Massenvertreibung aussieht
(nicht nur “nüchterner Zahlen” - auch die systematische Vorgangsweise der IDF, die vom Norden ausgehend, Richtung Süden angreift, hat nur wenig vom Gepräge eines herkömmlichen Vergeltungsschlags oder einer ebensolchen Geiselbefreiungsaktion.
Das Vorgehen der “größeren Aggressoren” war übrigens bereits vor zweieinhalb Monaten absehbar:
Entgegen den offiziellen Beteuerungen lassen die – nicht nur eng militärischen – Kriegshandlungen Israels den Eindruck entstehen, dass hier eine ethnische Säuberung stattfinden soll(te), bei der eine ‘Tube’ mit zwei Millionen Palästinensern gen Süden, also nach Ägypten ausgedrückt werden soll(te).”
Interessanterweise erhob die kritische internationale Gemeinschaft nicht erst im November ihr frucht-, weil auch juristisch substanzloses Völkermord-Geschrei,
alldieweil die mit schweren Waffen ausgestatteten Vertreiber ungestört ihrer blutigen Beschäftigung nachgehen konnten).
Sollte es sich, wie hier vermutet, um gezieltes “ethnic cleansing” handeln, verdient es der angeblich überraschend über Israel hereingebrochene Terroranschlag, der ja die Rechtfertigungbasis für die gesamte Operation ist, noch einmal minutiös unter die Lupe genommen zu werden
- und zwar nicht nur durch israelische Staatsorgane (das ursprünglich anscheinend sorgfältig modellierte ursprüngliche Narrativ ist ja schon jetzt löchrig wie ein Schweizer Käse).
Dieser Blogger will derlei Untersuchungen nicht vorgreifen, – aber es ist ohne weiteres möglich, dass der Terroranschlag vom 7. Oktober von islamistischen Hamas-Terroristen durchgeführt,
aber von sg. Sicherheitskräften des Staates Israel zugelassen und womöglich sogar begünstigt wurde
(die zivilen Veranstaltungsbesucher, Kibbuzniks & und einfachen IDF-Angehörigen waren wohl kaum informiert).
Etwas anderes ist auch nur schwer vorstellbar.
Laut Mohammed Deif, dem für den Anschlag auf den Rave zuständigen militärischen Hamas-Kommandanten, wurde die Aktion seit gut zwei Jahren geplant
- und ein derart lang gezogenes und wohl wiederholtes Totalversagen gleich mehrerer israelischer “Dienste” ist ziemlich unwahrscheinlich.
Trotzdem dominieren Gschichterl über Überraschungsangriff und Vergeltungsschlag bis heute nahöstliche und angelsächsische Mainstream-Medien.
“Intelligence Failure” 1973
Es ist, als erführe die offiziöse Geschichte des Jom-Kippur-Kriegs vor 50 Jahren heute eine aktualisierte Fortsetzung
- und genau genommen ist das Original von 1973 sogar noch unglaubwürdiger als das heutige Sequel,
hatte die Story doch zur Voraussetzung, dass die israelische Militäraufklärung aufmarschierende ägyptische und syrische Panzerarmeen “übersehen” bzw. keine Vorkehrungen gegen einen Angriff getroffen hat.
Es ist diese angebliche Blindheit staatlicher Organe von 1973/74, mit der der Rücktritt Meirs und Dajans begründet wurde und die letztlich zum politischen Gezeitenwechsel der Folgejahre führte.
Die Blindheit ist gewissermaßen das “Tertium Comparationis” der historischen Analogie.
Dem mittlerweile von Krethi & Plethi verzapften Gschichterl zufolge, warnte zwar der Vater des heutigen jordanischen Königs die Israelis – was in Tel Aviv aber auf taube Ohren gestoßen sein soll
(angeblich hat’s weitere, weniger hochrangige Warnungen aus Ägypten gegeben, von denen Bruno Kreisky eine verschwurbelt haben soll).
Dass z.B. Vorbereitungen auf eine Querung des Suez-Kanals mit amphibischen Panzern nicht wahrgenommen werden, wäre nicht einmal weniger professionellen Militärs passiert
- und unprofessionell waren Dajan und seine Offiziere sicherlich nicht, schon gar nicht nach vier vorangegangenen arabisch-israelischen Kriegen
(deshalb mag der glänzende militärische Sieg der Israelis 1973/74 durchaus auch auf deren überlegene Organisation bzw. Logistik der IDF zurückzuführen sein).
Und ja, natürlich hat es damals noch keine Satelliten gegeben.
Aber es haben U2s und andere hoch fliegende Spionageflugzeuge des US-amerikanischen “MIC” existiert.
Wie man Jay Millers “Lockheed Martin’s Skunk Works” (1995), Seite 84 entnehmen kann, überflogen U2 in den 1950ern nicht nur die Sowjetunion, sondern schon im Umfeld der Suez-Krise 1956 das östliche Mittelmeer,
und auch im Sechstagekrieg soll dieser Flugzeugtyp noch zum Einsatz gekommen sein. Im Yom-Kippur Krieg wurde bereits die SR-71 verwendet (Miller, Skunk Works, p. 149).
Man darf also getrost davon ausgehen, dass die Israelis in ihren´Kriegen mit arabischen Nachbarstaaten spätestens ab 1967 nicht nur Humint am Boden hatten, sondern auch mit Luftbildern aus den USA rechnen durften.
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