Die “Agenda 2040″ eines Schuldenschneiders

cover_resizedDer Berater Daniel Stelter, der sich seit Jahr und Tag weigert, Spitzenpolitiker(inne)n & potenziellen Auftraggebern in den A. zu kriechen, hat ein Reformkonzept für die nächsten 20 Jahre vorgelegt, das alles in allem großartig wäre, stünde die Welt nicht vor einer beispiellosen “Disruption”, in der alle Karten neu gemischt werden. Unheimlicherweise ist Stelter dieser Umstand im Großen und Ganzen bekannt, er erwähnt ihn in seinem Buch aber nicht – was die Warum-Frage aufwirft.

Der Autor ist der nämliche Mann, der vor fast zehn Jahren zusammen mit David Rhodes einen knappen Aufsatz mit dem Titel Back to Mesopotamia? geschrieben hat,

der heute noch um ein Stück aktueller ist als am Höhepunkt der Euro-Krise.

Seit damals hat Stelter zwar den Arbeitgeber gewechselt, nicht aber seine grundsätzliche Analyse unseres Geld- und Finanzsystems,

wovon man sich mit einem Blick in seinen Blog überzeugen kann, etwa in seinen Postings zu Schulden, “monetäres Endspiel” etc.

Vereinfacht gesprochen wird in der zugrundeliegenden Theorie davon ausgegangen, dass die Welt seit dem Alten Babylon immer wieder denselben Zyklus von Aufschuldung, Zusammenbruch und Neustart durchläuft.

In den historischen Despotien des Zwischenstromlandes war das Reinen-Tisch-Machen insofern institutionalisiert,

als jeder Herrscher bei seinem Amtsantritt alte Schulden für verfallen erklärte, worauf das Aufschuldungs-Spiel erneut starten konnte (“jubilee”).

Obwohl es in der Gegenwart mit dem Schuldenmachen erst um die Zeit so richtig krass los ging, als die beiden BCG-Leute Back to Mesopotamia? schrieben,

war für scharfäugige Beobachter wohl schon damals absehbar, wohin die Reise ging

(wahrscheinlich konnten sich die beiden aber nicht vorstellen, dass man die Aufschuldung ohne für die Allgemeinheit sichtbare dramatische Folgen weitere 10 Jahre fortsetzen konnte).

Stelter & Rhodes schlugen im September 2011 einen kontrollierten Schuldenschnitt von einem Drittel aller Finanzvermögen vor

- und vielleicht stand die Chose in Zusammenhang mit einem Pitch für einen großen Beratungsauftrag, der

  • dann doch nicht an Boston Consulting ging, was
  • aber alles vertraulich blieb.

Reine Spekulation….

Die Maßnahmen, die der interntionale Consulter den Politicos damals “abverlangt” hätte, wären jedenfalls so drastisch gewesen, dass man sich leicht vorstellen kann, dass diese mit einem schneidenden “Politischer Selbstmord!” abgelehnt worden sind.

Damals stand das System sozusagen noch am Abgrund, aber jetzt, zehn Jahre später, ist es bereits einen Schritt weiter. :mrgreen:

Bilanzwahrheit & Infrastruktur

In der Welt von heute, jener der vergangenen zehn sowie der kommenden 20 Jahre, spielt nun das neue “Traum-Buch”, das Erkenntnisse von Stelters beiden Vorgänger-Texten aufnimmt (zum “Märchen vom Reichen Land” siehe hier).

Die zentrale Botschaft könnte man mit

Wir Deutsche schaffen das, wenn wir nur gleich (in meinem Sinn) zu reformieren anfangen!”

umschreiben.

Die Bundesrepublik, sagt Stelter, habe – vor allem dank externer Faktoren: Globalisierung, “Unterbewertung der Währung”  – zehn gute Jahre hinter sich,

habe es in dieser Periode aber verabsäumt zu reformieren.

Doch die Zeiten würden jetzt viel härter, was

  • mit dem Rückstau vor allem öffentlicher Investitionen,
  • der Demographie,
  • dem absehbaren Zusammenbruch deutscher Leitindustrien sowie
  • mangelnden Rücklagen für den anstehenden Alterungsschub begründet wird.

Das “Propädeutikum der Generalreform” müsse darin bestehen, sich selbst reinen Wein über die Lage einzuschenken und Steuer- und Kontrollinstrumente auch für den öffentlichen Bereich einzuführen, die bisher nur in Unternehmen verwendet wurden

- als da wären: “doppelte Buchführung”, die Erstellung möglichst wahrhaftiger Bilanzen und eine seriöse Investitionsrechnung, die auch Abschreibung & Amortisierung von Infrastruktur-Projekten beinhaltet.

Die Produktion “kameralistischer schwarzer Nullen” wie in D. bis zur Corona-Krise geschehen, sei nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv,

weil dadurch Instandhaltung & Ausbau von Infrastruktur & Bildung im Inland vernachlässigt würde.

Gewinner der vergangenen Dekade seien die Exportbetriebe gewesen und auch der deutsche Staatshaushalt habe z.B. von der (künstlichen) niedrigen Zinsen (nicht nur) im EZB-Raum profitiert.

Das habe aber weder für Volkswirtschaft im Allgemeinen noch für die Bürger besonders viel gebracht,

weil das von den Handelsüberschüssen erzeugte Auslandsvermögen im Feuer stehe, und schon jetzt tlw. nicht mehr werthaltig sei.

Ja, mit der Ausfuhr sei gut verdient worden, mit den daraus resultierenden Forderungen gegen ausländische Schuldner könne bei der Bewältigung der anstehenden demographischen Schrumpfung aber kaum gerechnet werden.

Als eine Gegenstrategie empfiehlt S. u.a. die “Mobilisierung” der mittlerweile gut eine Billion Euro umfassenden Target-Forderungen der BuBa.

Trotz niedriger Arbeitslosigkeit und steigendem Inlandsprodukt hätten die Einkommen auch in der guten Dekade nicht zu einer besonderen Vermögensbildung bei Otto & Grete Normalverbraucher geführt.

was u.a. mit mangelnder “financial literacy”, aber auch mit der hohen Abgabenbelastung begründet wird

(dieser Blogger würde hier die finanzielle Repression der EZB nicht vergessen, die Sparer schrittweise, aber systematisch enteignet. Die Deutschen scheuen das Risiko und sind daher lieber Sparer als Investoren oder gar Spekulanten

- dass Erstere in der Vergangenheit so viel schlechter abgeschnitten haben als z.B. Aktienbesitzer ist aber v. a. eine direkte Folge von “Zentralbank-Politiken”).

Die deutschen Vermögen, erläutert der Autor, seien im Schnitt nicht nur geringer, sondern auch wesentlich ungleicher verteilt als in anderen Ländern

und der Hauptgrund dafür sei paradoxerweise der Sozialstaat, denn dieser habe auch für den Mittelstand Vermögen als “Versicherung gegen Lebensrisiken” (scheinbar) überflüssig gemacht.

Die heutigen Bundesbürger hätten relativ wenig Wohnungseigentum und gut die Hälfte ihres “net worth”, 6.500 Mrd. Euro, sei nur schlecht oder gar unverzinstes Finanzvermögen. Auch das soll durch eine entsprechende Gesetzgebung geändert werden.

Das Medianvermögen der Deutschen liegt laut EZB und dem Wealth Report der Allianz unter jenem der Eurozone (was schon die zentrale Botschaft des “Märchens vom Reichen Land” war).

Die Deutschen besäßen freilich nicht nur keine Aktien, sondern auch vergleichsweise wenige Immobilien:

Die Eigentumsquote ist in keinem anderen Land der Eurozone so niedrig wie in Deutschland. Im Vergleich der OECD-Länder liegt Deutschland an vorletzter Stelle. Während die deutschen Haushalte zu 45 Prozent Eigentümer der eigenen Wohnung sind, beträgt der entsprechende Anteil OECD-weit rund 70 Prozent. Im unteren Fünftel der Gesellschaft beträgt der Anteil der Haus- oder Wohnungseigentümer hierzulande nur 16 Prozent.”

Steuerliche Anreize und “kein sozialer Wohnbau” sollten helfen, Wohneigentum wieder verbreiteter zu machen.

Den zentralen Hebel für “seine” Reformagenda 2040 sieht Stelter freilich in erneuten Produktivitätssteigerungen, die schon in den vergangenen Dekaden immer geringer geworden sind (überall)

(- viel Glück übrigens beim Produktivitätssteigern & “Mehr Menschen in Arbeit bringen” – Kap. 7!)

“Neustart” f. Klima & Energie

Kritisch beäugt Stelter Klima-und Energiepolitik Brüssels & Berlins und deren eklatante Ineffizienzen

- ohne allerdings mit den wesentlichsten Grundannahmen dieser Politiken zu brechen, zum Beispiel

  • die alle anderen Faktoren in den Schatten stellende Klimawirksamkeit von atmosphärischem Kohlendioxid oder
  • das faktenwidrige Postulat, dass Europa beim “Kampf gegen das CO2″ einen relevanten Beitrag leisten könne.

Seine Schulter zuckende Haltung dazu ist, dass “die Politik” das halt so sehe.

Damit akzeptiert er dem Grunde nach das CO2-Gehampel seitens eines Staaten-Konglomerats, das heute gerade noch sieben oder acht Prozent aller Treibhausgase ausstößt.

Pragmatisch hakt der angebliche Querdenker eine Schein-Logik ab,

  • der die Autoindustrie seines Landes gerade zum Opfer fällt (was beklagt wird);
  • und mit der der fatale “Kohleausstieg” agumentiert wird, der – wie selbst erläutert -  absolut nichts zur Reduktion der weltweiten Emissionen beiträgt und
  • obwohl sich der Autor ziemlich sicher bewusst ist, dass Kohle- (und fast gleichzeitiger Atom-)Ausstieg für die kontinuierliche Stromversorgung von Haushalten und Unternehmen Existenz bedrohend sind.

Einerseits erklärt Stelter die sg. Klimaziele für tabu (“Selbstverpflichtung”),

will andererseits bei deren Umsetzung aber “effizienter & effektiver” vorgehen.

Darüber hinaus solle man auf andere, bessere Technologien setzen (“innovative Atomkraft”, carbon capture, Wasserstoff). Auch die Laufzeiten gut funktionierender AKW sollten verlängert werden

(“bedeutet immerhin “guten, CO2-freien & nicht-intermittenten Strom!”).

Warum Stelter diese Setzungen vornimmt, bleibt letztlich ein Rätsel.

Offiziell akzeptiert der gute Mann das CO2-Narrativ, weil es angeblich einen “globalen (wissenschaftlichen) Konsensus zur Entstehung des Klimawandels” gibt (gibt es nicht)

- genauer gesagt, eine Mehrheitsmeinung wie vor ein paar Jahrhunderten, als eine Menge anderer solcher Ansichten zirkulierte, zum Beispiel, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht.

Es fällt freilich schwer zu glauben, dass ein Mann, der sonst überall den Rechenstift zückt, nicht bemerkt, dass Deutschland seit 1990 seinen jährlichen CO2-Ausstoß um 0,3 Gigatonnen verringert hat, während die anderen den ihren um 15,6 Gt gesteigert haben,

oder dass die Zerstörung “seines” Unternehmensstandorts und “seiner” nationalen Leitbranchen für’s Weltklima völlig irrelevant ist, selbst auf Basis der gängigen Theorie.

Wie der Autor richtig schreibt, stößt Deutschland aktuell gerade einmal zwei Prozent der Weltemissionen aus (und stellt man “legitimen Ausstoß” z.B. für Raumwärme in Rechnung, bleibt vielleicht ein gutes Prozenterl über).

Analog zur CO2-Story ist Stelters Position zur “Energiewende” zu sehen.

Die ist für ihn zwar furchtbar teuer und voller Nachteile, aber – wie der Euro – letztlich alternativlos, weil man schon so viel in sie investiert hat.

Alles in allem genommen, scheint Stelter zu glauben, werde man das durch und durch dysfunktionale Ding namens Energiewende über Erneuerbare schon durchziehen, auch wenn das Deutschland 70 Milliarden pro Jahr kostet

und, wie er glaubt, fossile Brennstoffe in Hülle und Fülle übrig sind.

Leider täuscht er sich auch in dieser Hinsicht, wie man

Europa

Die Europäische Union, ein von Anfang (1992) an verkorkstes Projekt, muss nach Meinung des Autors von Grund auf reformiert werden

(wobei sich eine interessante semantische Diskussion ergibt: Handelt es sich dann überhaupt noch um die bekannte EU oder eine andere Form der “europäischen Einigung”? Stelter will jedenfalls einen Staatenbund statt einem Bundesstaat.)

Die reale Union sei eine riesige Umverteilungsmaschine, in der Deutschland der größte Zahler sei,

als Ganzes aber bei Weitem aber nicht so stark profitiere wie allein seine Exportbetriebe.

Target 2 sei zu einem großen Teil eine Kreditfinanzierung der Exportwirtschaft, auf Kosten und Risiko der deutschen Sparer und Währungsnutzer.

Ein großer gemeinsamer Markt und die Sicherung der Außengrenzen seien es jedoch wert zusammenzubleiben. Dazu komme die Gefahr horrender Verluste im Fall eines ungeordneten Euro-Zusammenbruchs.

Statt einer “nach oben offenen Haftungs- und Verschuldungs-Union”, wie sie 2020 unter dem Deckmantel der aktuellen Pseudo-Seuche auf den Weg gebracht wurde, plädiert Stelter allerdings für einen einmaligen Schuldenschnitt für Alt-Verbindlichkeiten bei 75 Prozent des jeweiligen BIP (“Schuldentilgungsfonds”).

Das eröffne auch den stärker verschuldeten EU-Staaten Spielräume für Reformen.

Die daran anschließende Einführung von Parallel-Währungen ermögliche besagten Staaten Abwertungen gegenüber den Ländern eines “harten Kern-Euro”.

Damit könnten die Nachteile der Gemeinschaftswährung abgefedert werden, denn das bisherige Euro-System habe nicht nur keine Konvergenz gebracht,

sondern bestehende Unterschiede sogar noch vergrößert.

Daniel Stelter, Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040. 2021

Unabhängiger Journalist

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