Die EU hat in den (“ersten”?, “bisherigen”?) 50 Wochen des heurigen Jahres um etwa 16 Mrd. Kubikmeter Erdgas mehr importiert als im Vergleichszeitraum des Jahres davor, im Oktober und November – also vor dem Beginn der jeweiligen Heizsaisonen – aber geringfügig weniger ihren Speichern entnommen (verbraucht). Trotzdem ist im Jahresabstand der “Füllstand” ihrer Speicher um gut zehn Prozentpunkte gefallen. Zeit, wie schon hier, einmal mehr zu fragen: Wie, bitteschön, soll derlei vonstatten gegangen sein und – neu – wo sind die fehlenden ca. 30 Mrd. Kubik geblieben?
Vorbemerkung: Dieser Blogger ist bisher davon ausgegangen, dass die ihrerseits auf ENTSOG zurückgehenden Importdaten des EU-Think Tanks Bruegel über alle Zweifel erhaben seien
- ebenso wie jene der Gas Infrastructure Europe (GIE) und ihres Aggregated Gas Storage Inventory.
Dieses Vertrauen hat jedoch Risse bekommen, da – wie unten erläutert – die Werte dieser beiden Daten-Sets nicht miteinander vereinbar zu sein scheinen, speziell die Entwicklung der “Füllstände” der EU-Speicher, die medial zwar durchaus beachtet werden, die “isoliert” aber dennoch in die Irre führen können.
Mehr-Importe 2025
Ausweislich der hier abrufbaren Daten hat die EU-27 in den ersten 50 Wochen des gerade ablaufenden Jahres 300,6 Mrd. Kubikmeter Erdgas importiert, um 16 Milliarden mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (284,6 Mrd. m3).
Vor drei Wochen, Ende November, betrug der Mehrimport 2025 noch etwa 15,7 Mrd. Kubikmeter.
Dieser aktuelle zusätzliche Zufluss erfolgte
- vor allem aufgrund von 30 Mrd. m3 zusätzlichen LNG-Mengen (regasifiziert; mehrheitlich aus den USA) und
- trotz der Beinahe-Halbierung der russischen Exporte in die EU, anscheinend als Folge der Stillegung der südlichen “Ukraine-Transit”-Route” via SK (“Auslaufen des Transitvertrags”). Dadurch haben sich die Gas-Ausfuhren der RF in die EU-27 von 31,7 Mrd. vor einem Jahr auf aktuell 17,4 Mrd. m3 reduziert (natürlich nur “50 Wochen”) und beschränken sich seit Jahresbeginn auf Flüssiggas und die Turkstream-Pipeline durch Bulgarien und Serbien.
Nun gibt es in diesem via ENTSOG/Bruegel verbreiteten Datensatz nach Wissen dieses Bloggers keine Angaben zum Verbrauch in der Union selbst (also von Endverbrauchern und Exporteuren),
sehr wohl aber welche der GIE-AGSI, die ein europäisches Netzwerk von Betreibern unterirdischer Gasspeicher sowie als “ALSI” von großen LNG-Terminals bilden. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden die ihnen zeitnah zu meldenden Daten in “ihrem Zuständigkeitsgebiet” an das Netzwerk weiter geben,
und nicht, dass individuelle Betreiber direkt an die “Avenue de Cortenbergh” berichten (das HQ der GIE ist übrigens im “EU-Regierungsviertel” gelegen, unweit von Kommission und Rat).
Vor allem die auf der Transparenzplattform von AGSI abrufbaren “tagesgenauen Daten” zur Auslastung der unterirdischen Speicher finden in “alternativen”, aber auch einigen “nicht-alternativen” Medien Beachtung,
nicht jedoch andere vorhandene Daten wie beispielsweise die Entnahme aus diesen Speichern, (“withdrawals in GWh pro Tag”).
Minderverbrauch 2025
Dieser Blogger hat nun mithilfe eines Tabellenprogramms diese Entnahmen zwischen 1.10.2024 und 30.11.2024 einerseits und 1.10.2025 und 30.11.2025 andereseits verglichen und ist zu dem für ihn selbst überraschenden Ergebnis gekommen, dass in besagten Vergleichsperioden 2024 geringfügig mehr Gas entnommen wurde als ein Jahr später,
nämlich “brutto” 143,5 Terawattstunden gegenüber 132,4 TWh aktuell.
Da es durchaus sein kann, dass eine bestimmte Gasmenge aus einem EU-Speicher entnommen und in einen anderen EU-Speicher verfrachtet wird, lohnt sich auch eine “Nettobetrachtung”
- also eine, in der die Brutto-Withdrawals um die “Injections” im selben Zeitraum bereinigt wird.
Aber auch hier wurde 2024 um knapp 20 TWh oder 2 Mrd. m3 mehr entnommen als 2025, was bedeutet, dass die Entnahmen als Erklärung für den jüngsten deutlichen Rückgang des EU-Füllstands also ausscheiden.
Diese Größenordnungen sind per se nicht besonders bemerkenswert, fällt die Betrachtungsperiode doch in eine – saisonal bedingte – verbrauchsarme Zeit, in der
- noch nicht geheizt wird und auch
- die Abgabe an Gaskraftwerke noch nicht besonders hoch ist (im Vergleich zu den Wintermonaten).
Dieses “datum” wirkt jedoch dem verschiedentlich verbreiteten G’schichterl entgegen,
wonach eine besonders hohe Verstromung in den vergangenen Herbstmonaten am scharfen Rückgang der Speicherstände schuld sei,
- das scheint EU-weit aber glatt falsch zu sein.
Dieses Argument wurde beispielsweise in Österreich bemüht – siehe hier und hier (mittlerweile vom Netz genommen)-,
und es mag regional eine gewisse Gültigkeit haben (keine Ahnung, verfüge nicht über das Herrschaftswissen etwa der E-Control),
Glaubt man aber den EU-weiten Withdrawal-Daten von GIE-AGSI, kann – wie gesagt – diese Interpretation keinen Bestand haben.
Absturz des Füllstands vor Beginn der Heizsaison
Trotz alledem waren die EU-Speicher am 1. Dezember 2025 nur mehr zu 74,8 Prozent voll, während der Füllstand vom 1. Dezember 2024 noch 85,1 Prozent betragen hatte. Ausweislich der “historischen Daten” der AGSI-Transparenzplattform entspricht das einer Differenz von 122,4 TWh, was laut dem Einheiten-Umrechner der niederländischen Gasunie 12,5 Mrd. Kubikmeter wären.
Addiert man diese Menge zu den Mehr-Importen der EU-27 bis Anfang Dezember 2025 (15,7 Mrd. m3, siehe oben) sowie dem marginalen Minder-Verbrauch (2 Mrd. m3, siehe ebenfalls oben),
kommt man auf “fehlende” 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Vielleicht gibt es “harmlose Erklärungen” dafür, bei denen z.B. eine wundersam gesteigerte EU-Eigenproduktion ohne “Umweg” über Speicher verstromt wird,
aber es gibt auch wesentlich “weniger harmlose Erklärungen”. Wo, bitteschön, sind also die fehlenden, rechnerisch ermittelten ca. 30 Mrd. Kubikmer Erdgas geblieben?
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