Die Ukraine, die EU-Frage und die Wichtigtuer aus Wien

Der Konflikt zwischen “dem Westen” und Russland, der sich um die Ukraine und die Krim abspielt, ist aus wenigstens einem Dutzend Perspektiven interessant. Das beginnt bei der Medienlandschaft, deren “klassische” sich ohne Zögern in die Armee des westlichen Bündnisses einordnet, während die unabhängige “Blogosphäre” dazu tendiert, den Machtkampf als gezielte, aus dem Westen finanzierte Subversion gegen einen prorussischen Status quo anzusehen und die dem FSB sein (offenkundig authentisches) Material mit Handkuss abnimmt.

Das geht weiter über die Frage, ob der in der Ukraine erfolgte Regierungswechsel rechtmäßig oder eine gewaltsame Machtergreifung war, bis hin zur Rolle, die ukrainische Radikalnationalisten in der neuen Regierung spielen. In den klassischen Medien bekommt man nämlich den Eindruck, dass nationalistische Recken gar nicht so unwillkommen sind, solange sie nur die Richtigen von der Straße prügeln – sozusagen nach dem Motto: Swoboda hui, Golden Dawn und Jobbik pfui.

Außer den rechten Bündnisgenossen gibt es noch eine Reihe von politischen und historischen Tatsachen, die den westlichen Medien zu peinlich sind oder nur zu ungelegen kommen, als dass sie einer Erwähnung wert wären. Beispielsweise (in ungeordneter Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • dass z.B. die Krim spätestens seit Katharina der Großen russische Einflussphäre ist (man darf ruhig sagen: “unter der Knute der Zaren stand”) und 1954 in einer Anwandlung brüderlicher Liebe den Ukrainern geschenkt wurde (von Chruschtschow).
  • dass die im Westen derzeit so beliebte Berufung auf das Völkerrecht und die Klage über die (noch nicht offiziell erfolgte) Verletzung der ukranischen Souveränität pure Heuchelei ist – wenn man beispielsweise Haltung und Rolle “des Westens” beim Untergang Jugoslawiens in den 1990er-Jahren ansieht. Damals war  die Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien das Letzte, was die USA und die EU interessierte. Ganz abgesehen davon, dass der  “Hauptjob” der Europäischen Union ohnedies darin besteht, Souveränitätsrechte “ihrer” Nationen abzuschaffen bzw. diese auf sich selbst zu übertragen.
  • dass das Gebiet der heutigen Ukraine 600 Jahre lang ein Zankapfel zwischen östlichen (russischen) und westlichen (Polen/Balten und Habsburgern) Fürsten war (der türkische Sultan spielte auch ein bisschen mit). Und dass es für den Westen in diesem Zeitraum nicht nur ruhmreiche Kapitel gab.  Zu diesen zählt – jedenfalls aus der Sicht Russlands – Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion, der mit tatkräftiger Hilfe von ukrainischen und tatarischen SS-Divisionen gefochten  wurde.

Die andere Seite tendiert wiederum dazu, zu vergessen, dass die Liebe der Moskauer Zaren-Väterchen zu ihren ukrainischen Untertanen nie besonders hingebungsvoll war und dass das Gleiche auch für die roten Zaren gilt. Was im Übrigen eine gute Erklärung für die Sympathien ist, die den Deutschen 1941 durch die vermeintlichen “slawischen Untermenschen” entgegenschlugen.

Das Staatsgebiet der heutigen Ukraine ist das Ergebnis etlicher historischer Zufälligkeiten wie eben der Krim-Schenkung und einer “Westverschiebung” nach dem Zweiten Weltkrieg. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass es ein ukrainisches Staatsvolk gibt, das ein Recht auf Selbstbestimmung hat. Und das kann keineswegs bedeuten, dass sich die Ukraine künftig aus Brüssel oder Berlin statt aus Moskau gängeln lässt.

Die friedlichste und rationalste Lösung wäre, die bestehenden  Regionen der Ukraine darüber abstimmen zu lassen, ob sie Bestandteil eines ukrainischen Staats bleiben, selbst unabhängig werden oder sich einem Nachbarstaat anschließen wollen – und das Ergebnis dann zu akzeptieren. Auch wenn dies auf der Krim und im Donbas sowie in der Bukowina und Transkarpatien auf eine Abspaltung hinauslaufen sollte.

Brüssel will das aber nicht, weil Länder wie Spanien und Italien absolut kein Interesse an einem solchem Modell haben. Das könnte sich ändern, sobald die EU entdeckt, dass dies eine Möglichkeit ist, ihre Rivalen um die Macht, die heute real existierenden Nationalstaaten, schneller als geplant (völlig) auszuschalten. Derzeit ist  es noch nicht so weit.

Damit soll für heute Schluss mit der Polterei sein – Wochenende ist’s. Ach ja – bis auf einen Aspekt, bei dem man nur ratlos sein kann, ob man ihn eher gespenstisch oder komisch finden soll.

Es geht um den Auftritt von Hochstaplern auf der Bühne in Kiew, Mitessern der Krise, die diese nur für ihre Polit-Darstellung nutzen. Diverse Politiker aus den baltischen Staaten gehören dazu wie zum Beispiel jener zu Minuten-Ruhm gelangte estnische Außenminister, dessen Telefonat mit EU-Außenministerin Ashton abgehört wurde.

Aber auch der österreichische Außenminister, Prinz Sebastian d’Austria, ist einer von denen. Basti Kurz reist morgen, Sonntag, angeblich nur nach Kiew, weil er dem Europarat vorsitzt, tatsächlich will er aber die historische Rolle nachspielen, die das “Haus Österreich” dort innegehabt hat.

Um es in den Worten eines polnischen Europaparlamentariers auszurücken: “Die Gegend war Teil des Habsburgerreiches. Österreich hat ebenfalls eine historische Verpflichtung zu erfüllen: Es trägt eine moralische und politische Mitverantwortung für das Land.”

Natürlich haben auch die Polen selbst eine solche “historische Verantwortung”. Und selbstverständlich auch die Balten , die zusammen mit den Polen 200 Jahre lang über eine gemeinsame Adelsrepublik in der heutigen Ukraine mitgemischt haben. Immerhin scheint die ukrainische Reformbewegung über Vilnius gelenkt und finanziert zu sein.

Wie die Balten wärmt sich auch der arme Prinz Sebastian im Nachglanz einstiger historischer Größe. Bleibt nur zu hoffen, dass er sich nicht versucht fühlt, tatsächlich irgendetwas beizusteuern. Und dass die Russen nicht draufkommen, dass auch sie eine historische Verantwortung tragen.

Unabhängiger Journalist

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