Eine Kritik des Politischen Kitschs

cover_resizedEin deutscher Philosoph & Magazin-Kommentator hat den Politischen Kitsch als die heimliche Ideologie seiner Landsleute beschrieben und Klima-Gören und Willkommenskultuschaffende als Gallionsfiguren der Bewegung ausgemacht. Nicht doch, fuhren da seine Kollegen vom Feuilleton dazwischen: “Wie kann man nur auf den Gedanken kommen, Greta & Luisa huldigten gefühliger Scheinpolitik! Das sind doch dem Sachverstand verpflichtete Zahlenjongleurinnen!”

Auf das wäre dieser Blogger selbst nun wirklich nicht gekommen.Er dachte bisher – im Gegenteil -, dass Grau die Mentalität der bekannten – teils nicht-deutschen – Klima-Gören recht gut getroffen hat, zum Beispiel in folgenden Passagen:

Letzter Richter über Wahrheit und Realität wird das subjektive Empfinden. Wahr ist, was meiner Intuition entspricht, was mit meinen psychischen Bedürfnissen kompatibel erscheint und sich mit meinen sentimentalen Regungen in Einklang befindet (…)

Nicht der nüchterne Pragmatiker ist realistisch, sondern der Metaphysiker, der Okkultist, der Prophet, gerne auch der Apokalyptiker (…)

Denn der permanente Widerspruch zwischen faktischer Realität und gefühlter und empfundener Wirklichkeit führt zu einer kognitiven Dissonanz. Und die wiederum führt zu Enttäuschungen, die sich in Ressentiments entladen. Diese richten sich allerdings nicht gegen den eigentlich Schuldigen, die unvorteilhaft eingerichtete Welt, sondern gegen diejenigen, die mit Realismus auf die Welt schauen. Der Bote ist schuld So kippt schließlich das kitschige Bewusstsein in Hass.”

Wenn beispielsweise Akteure gescholten werden, deren Staaten für gerade einmal 6,5 (EU-28) bzw. 16,6 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich sind (EU&USA; siehe z.B. PBL-Report 2019, Seite 61), der (die) muss sich fragen lassen, wie sie (er) es mit einem rationalen Diskurs hält und ob Subjektivität & Empfindsamkeit nicht mir ihr (ihm) durchgegangen sind.    :mrgreen:

Ganz unreflektiert hält dieser Blogger die dabei entstehende How-dare-you-Situation nämlich für Politischen Kitsch schlechthin.

Alexander Grau hat dagegen jahre(jahrzehnte)lang darüber gelesen und reflektiert und kann von Adorno bis Broch die üblichen Kronzeugen aufmarschieren lassen.

Der Mann jagt den Kitsch sozusagen quer durch Zeiten, Völker und Kulturen.

Den Politischen K. lässt er aber erst mit dem Kult des Höchsten Wesens im Prairal 1794 beginnen, zunächst gefolgt von den Peinlichkeiten des originalen Napoleon, danach des französischen Bürgerkönigs und schließlich des Wilhelminischen Deutschland.

In den Anfangstagen des Ersten Weltkriegs, vor gut hundert Jahren, sei die Geschmacksverwirrung noch vorwiegend konservativ gewesen, analysiert Grau – dann aber sei sie wieder progressiv und totalitär geworden, nämlich bei Nazis & Kommunisten.

Danach erst brach die Stunde des absoluten Politischen Kitschs an – eine weitere Disziplin, in der nach Meinung des Autors die Deutschen Weltmeister sind.

Seine Landsleute seien wg. Luther und der Romantik für die ins Kognitive und Moralische wuchernde spätmoderne Geschmacksverwirrung besonders prädisponiert und gerierten sich in der Hinsicht besonders fanatisch, meint der Göttinger (weswegen auch eine Schwarzwälder Kuckucksuhr das Cover ziert).

Speziell wenn man man das deutsche Feuilleton mit bedenkt, scheint an diesem ebenso schuldstolzen wie exzeptionalistischen Claim was dran zu sein.

Und was die Geschmacklosigkeiten ihrer Politicos und Studienräte anlangt, verstehen deutsche Journos auch heute keinen Spaß (was Grau noch zu kosten bekommen wird).

Keine deutsche Spezialität

Doch auch wenn das enttäuschend ist – in Sachen kitschiges Bewusstsein sind andere Nationen wenigstens genauso gut wie die Germanen. 

Amerikanische professores können ebenso weltfremd sein wie deutsche und kanadische Campaigner noch bornierter als welche aus Berlin oder Hamburg.

Ganz zu schweigen von den Klima-Gören.

Greta, die bekanntlich Schwedin ist, hat in Sachen selbstgerechte Ignoranz einiges auf zu bieten, was Louisa nicht schafft.

Aber auch viele Asiaten sind gut in Sachen Polit-Kitsch – ganz ohne Biedermeier, deutschem Wald und bürgerlichem Proto-Nazismus.

Alexander Grau, Politischer Kitsch. Eine deutsche Spezialität. 2019

Unabhängiger Journalist

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