Energiekrise auf zweierlei Art

Vahrenholt_Die grosse Energiekrise_web-jpg.inddMainstream-Etatisten, aber auch herkömmliche Wirtschaftsliberale erwarten die Fortsetzung von Business as Usual, cover_turiel_resizedallenfalls unterbrochen von einer der seit Jahrzehnten bekannten periodisch wiederkehrenden Wachstumskrisen. Für Fritz Vahrenholt und Antonio Turiel dagegen steht das Phänomen (dichte) Energie im Zentrum der Probleme – eine Doppel-Rezension.

Vahrenholt ist keiner jener kleinen und großen “Regierungsberater”, die, die übernächste Katastrophe fest im Blick,

selbtzufrieden die anstehende Kalamität ignorieren und sich dabei an essenziellen Lebensinteressen ihrer leiblichen Kinder und Enkel versündigen.

Im Gegensatz zu heutigen CO2-Ideologen jeden Alters macht V. seit langem drauf aufmerksam,

dass bis zum heutigen Tag der reale Beitrag, den CO2 & Co. zur Erderwärmung leisten, keineswegs “gesettelte Wissenschaft” darstellt

und dass etwa das “Entwicklungsland China” das Mehrfache dessen, was Deutschland insgesamt an CO2 ausstößt, Jahr für Jahr zusätzlich emittiert.

Theoretisch sollte derlei schon deswegen Allgemeingut sein,

weil nämlich alle offiziell veröffentlichten Klimagas-Zahlen der vergangenen drei Jahrzehnte zeigen,

dass in OECD-Ländern praktisch kein Zuwachs mehr statt findet, in angeblichen oder wirklichen Entwicklungsländern dagegen jede Menge.

Das ist freilich “nur objektiv” so, weil Campaigner in- und außerhalb der Journaille, naseweise Oberstudienräte und sich demokratisch nennende Politicos derlei ignorieren,

sodass es mittlerweile (ehemaliger) Universitätslehrer bedarf um auszusprechen, was sogar “Taferlklassler” errechnen können.

Für Vahrenholt ist der vor 20 Jahren begonnene Versuch der Energiewende gescheitert, was für heute bedeute:

Alle, die Panik verbreiten, dem überhasteten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas das Wort geredet und nichts getan haben, um Kohle-, Öl- und Gasverwendung CO2-ärmer zu machen und damit unmittelbar eine CO2-Verminderung zu bewirken, ohne Versorgungssicherheit und Wohlstand aufzugeben, müssen sich vorwerfen lassen, die Energiekrise mit herbeigeführt zu haben.”

Die Verdienste (≠ Arbeitseinkommen) dieses Wissenschaftlers, Blogbetreibers und (Mit-)Buchautors (“Die Kalte Sonne/Klimanachrichten” sowie zunächst “Die Kalte Sonne” 〈Buch〉, später “Unerwünschte Wahrheiten” und “Unanfechtbar?”)

sind in dieser Hinsicht nicht hoch genug einzuschätzen.

Rohstoffreserven

Das zweite Kapitel des aktuellen Vahrenholt-Buchs, in dem zwei “extremistische” CO2-Szenarien als unrealistisch kritisiert werden, gibt einen kleinen Einblick in Vs seit Jahrzehnten angehäufte Expertise.

Die dabei verfolgte Argumentation legt freilich – wohl unwillentlich – eine wesentliche Achillesferse seines eigenen, rational ansonsten untadeligen Energiebuchs offen.

In ihm argumentiert der angeblich Klimawissenschafts-leugnende Autor u.a., dass die oft beschworenen IPPC-Szenarien SSP5 – 8.5 und SSP3 – 7.0 kumulierte Emissionen von mehr Kohlenstoff voraussetzten  als derzeit wirtschaftlich überhaupt abbaubar seien.

Nun könnte eine Schwachstelle dieser Argumentation darin liegen, dass

  • das Ganze sowieso ein “moving target” ist und die noch immer relativ niedrigen Öl-Preise weiter massiv zulegen und zu einem höheren Abbau führen könnten (freilich eine “fallacy”: auch  die Kosten steigen); dass V. die potenziellen CO2-Emissionen also unterschätze.
  • Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Die heutigen offiziellen Reserven können nämlich amtliche Konstrukte sein, die “bloß auf geduldigem Papier” förderbar sind. Im Einklang mit vielen offiziellen Stellen würde V. in diesem Fall die im wirklichen Leben abbaubaren Reserven – womöglich weit – überschätzen.

Dieser Blogger neigt bekanntlich der letzteren Ansicht zu,

  • u.a. weil durch eine solche Annahme die seltsamen Geschehnisse in der “extraktivistischen Industrie” und “deren Regierungen” besser erklärt werden kann,
  • weil dafür die Produktionsprofile Dutzender Länder ebenso sprechen (siehe z.B. Matt Mushalik)
  • wie auch z.B. das scheinbar irrationale Verhalten internationaler Organisationen.
  • Im  “Großen Bild”  findet um die verbleibenden Hydrokarbon-Reserven freilich jede Menge staatliche Geheimhaltung und statistische Obfuskation statt, mit der bemerkenswerten Ausnahme von US Shale (Nat)Gas and Oil – aus welchen Gründen immer. Wer Studien betreiben will kann lernen, dass das angebliche Wachstum der weltweiten Ölförderung seit 10 Jahren, primär auf US-Schieferöl zurückzuführen ist, das vor allem in den Anfangsjahren enorme decline rates aufweist.

Teile der alten Peak Oil-Theorie gewinnen quasi im Tagesrhytmus an Unterstützern,

nicht nur bei Goehring & Rozencwajg

(In the case of Peak Oil, we believe Hubbert’s theories will regain relevance once shale production rolls over and the underlying depletion problems of conventional oil are exposed.)”

Derlei “Rohstoff-Defätismus” ist freilich nicht die Sache des Fritz Vahrenholt,

der unermüdlich heraus streicht, dass ein Stromnetz kein Speichermedium und dass auch mit viel mehr Windmühlen und Solarpaneelen kein “grid” aufrechtzuerhalten sei (letztlich wegen Intermittenz/”Dunkelflauten”),

wenigstens so lang es keine ausreichenden Speicher gibt bzw. verlässliche “entsendefähige Elektrizität” zur Verfügung steht.

Für Deutschland plädiert der Autor für einen Mix aus Offshore-Windparks, die durch Kernenergie und lokal vorhandene Braunkohle (inkl. “CCS” ) ausbalançiert würden.

Darüber lässt sich – auch kontrovers – diskutieren, aber immerhin:

Bei Vahrenholts Energie-Strategie handelt es sich um keine Offenbarung. Sie anerkennt keine Tabus und steht zur Diskussion.

Die Rede ist freilich nur von jenem Viertel des Endenergieverbrauchs, das (in “entwickelten Ländern”) dem jeweiligen Stromnetz entstammt.

Unzweideutig – und von V. ausdrücklich angesprochen – ist ferner die Position, dass die offiziellen Angaben zu den vorhandenen Kohlenwasserstoff-Reserven Vertrauen verdienen

(bezüglich ihrer Förderbarkeit im “wirklichen Leben” – Venezuelas Natur-Bitumen zeigt, dass Reserven und Produktion zweierlei Paar Schuhe sind).

Im konkreten Fall verlässt sich V. auf die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR),

die für den Chemiker ausreichend glaubhaft versichert, dass es aktuell keinen natürlichen Mangel an dichten Energierohstoffen gebe (was z.B.für Lignit und Deutschland durchaus der Fall sein kann).

Turiels “Long Descent”

Ein anderes Bild der aktuellen Energiekrise zeichnet Antonio Turiel, der Verfasser des zweiten hier besprochenen Buchs.

“Sin energía. Pequeña guía para el Gran Descenso” ist ein kurzer Text, der als Taschenbuch gerade einmal 120 Seiten umfasst.

Es handelt sich um eine konkretisierte Nachfolgerin der hier besprochenen Petrocalipsis des selben Autors, die in etlichen naturwissenschaftlichen und technischen Teilen auffällige Ähnlichkeiten mit der Betrachtung Vahrenholts aufweist,

etwa, wenn der Spanier bezüglich der “Renovables Eléctricas Industriales” (REI) festhält:

Hay límites a la integración de energía renovable eléctrica, y eso que aún no hemos discutido los problemas de intermitencia, estacionalidad y estabilidad (…)”

Anders als bei V. ist Turiels Energiekrise freilich

  • global ausgerichtet,
  • und nicht auf Elektrizität, Gas und Europa beschränkt (trotz seines Unterkapitels zum Gran Apagón – “si salimos de Europa vemos que el problema con la electricidad y los apagones es generalizado, en la mayoría de los casos por falta de carbón: China, India y Sudáfrica sufren apagones rotatorios desde hace meses, en Pakistán los cortes duran 10 horas o más cada día”,
  • aber sie ist auch nicht eifernder Unbelehrbarkeit oder ideologischer Borniertheit geschuldet wie bei V. (Sowohl V. als auch T., lehnen die Charakterisierung der aktuellen Probleme als eine “von Putin ausgelöste Gaskrise” etc. ab).

Der Autor, ein in Barçelona als Meeresforscher arbeitender Physiker und Mathematiker, diagnostiziert in den ersten 90 Prozent seines Büchleins

die Existenz “in einander verschachtelter Subkrisen”, die seiner Meinung nach alle auf eine geringer werdende Förderung/Umwandlung der wichtigsten Kohlenwasserstoff-Ressourçen, speziell Öl, zurückgehen:

  • beispielsweise eine im Zentrum der aktuellen industriellen und kommerziellen Systeme stehende Dieselkrise,
  • eine “nach-coronöse” Rohstoff-, Werkstoff- und Lieferkettenkrise,
  • eine Nahrungsmittelkrise (u.a. durch ausfallende Düngemittel) sowie
  • eine damit verbundene Inflationsspirale, ihrerseits bedingt durch das Zerbrechen des kapitalistischen Wirtschaftssystems (das, wie T. richtig vermerkt, auch deflationär kaputt gehen kann- ergo Deflationsspirale).

Bei Themen wie z.B. die molekularen Vorgänge beim Raffinieren von Erdöl, die Erzeugung von Stickstoffdünger mittels Erdgas oder bei Einlassungen zu Elektrizität und deren “Netzen” sind artikulationsfähige Personen wie Turiel höchst willkommen

- welche mit naturwisssenschaftlichen und technischen Grundkenntnissen von Chemie bis Mechanik und Thermodynamik bis Elektrizität.

Derlei ist oft zwar Schulstoff noch vor Erlangung der Mittleren Reife, darf aber bei den hier meinungsbildenden Chattering Classes nicht einfach vorausgesetzt werden.

Insofern muss eine von einem Naturwissenschaftler in Aussicht gestellte

análisis técnico y científico”

höchst willkommen sein.

Politisch könnte man den Mann als kritisch-solidarischen Sympathisanten der linkspopulistischen Podemos einstufen, die in Madrid nach wie vor den Mehrheitsbeschaffer der PSOE gibt.

Milieubedingt arbeitet T. mit ausgesprochenen Ideologen der in der gesamten EU herrschenden Lehre vom menschengemachten Cambio Climático zusammen,

agiert in dieser “Gretchenfrage” aber wenig beflissen

(ohne besagten CC als Hilfsargument zu verschmähen oder diesen gar offensiv zu “leugnen” – was einem sozialen Selbstmord gleich käme).

In Fragen des Wirtschaftssystems vertritt T. sogar radikalere Positionen als der Podemos-Mainstream und mag für dortige politische Säuberer schon deswegen kein lohnendes Ziel sein

(hilfreich ist in diesem Zusammenhang wohl auch, wenn Fieberträume deutscher Wasserstoff-Fans als neokolonialistisches Projekt gedeutet werden).

Wie dem aber sei – im Zweifelsfall neigt der Mann zunächst eher dem Naturwissenschaftler als dem  homo politicus zu (wie übrigens auch Vahrenholt),

wovon grosso modo die ersten neun Kapitel des Essays leben.

Wissenschaft & Politik

Problematisch wird “Sin energía”  im zehnten Abschnitt, in dem beispielhaft mögliche Alternativen angerissen werden (vorgeblich um Turiels Image als Untergangsprophet entgegenzuwirken).

Zugestanden, die zentrale Botschaft von Petrocalipsis und Sin energía ist ist für 99 Prozent der Menschen unerwartet, schockierend und “wenig bekömmlich”.

Mehr als zweifelhaft ist für diesen Blogger allerdings, ob die (indirekt) vorgeschlagenen Dirigismus- und Verbotspolitiken (PkW, Straßenverkehr) tatsächlich die in Aussicht gestellten Zeitgewinne erbringen (“una década”, “varios años”).

An dieser Stelle seines Texts wirft der Autor das objektivistische Gewand der Wissenschaft ab – zunächst, um im Habit des achtsamen Wiederverwerters und Permakulturalisten zu erscheinen.

Für diesen Blogger, einen u.a. über den Russischen Bürgerkrieg informierten “Klein-Historiker”, ist der so vollzogene Gestaltwandel freilich eine bloße Zwischenphase,

denn: Hinter der so liebenswert erscheinenden Boboesk-Figur dräut unverkennbar die Gewalt einer sich aufgeklärt gebenden Diktatur des Mangels.

Fritz Vahrenholt,  Die große Energiekrise: … und wie wir sie bewältigen können. 2023

Antonio Turiel, Sin energía: Pequeña guía para el Gran Descenso. 2022

Unabhängiger Journalist

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