Kommende Woche beginnt in Österreich das EU-Austrittsvolksbegehren. Es kann auf Gemeinden und Magistraten unterzeichnet werden. Wegen des fast völligen Medienboykotts hat es kaum Erfolgschancen. Trotz einer fast schon feindseligen Stimmung in der Bevölkerung hält das Machtdreieck aus zentristischen Parteien, willfährigen Medien und hörigen Verbänden die Reihen dicht geschlossen.
Die aktuelle Austritts-Initiative bewegt sich “so tief unter der Oberfläche”, dass das Establishment es nicht für notwendig hält, seinen Instrumentenkasten mit Gräuelpropaganda und Desinformation auszupacken. Totschweigen muss reichen, lautet die Devise. Nähmen sie die Initiative ernst, hätten sich die PR-Apparate von Parteien, Kammern und Verbänden schon längst in Bewegung gesetzt und ihre Panikmache von 1993/94 bzw. aus der Zeit vor der Einführung des Euro neu aufgenommen.
Aus heutiger Sicht, im Nachhinein ist jedenfalls klar: Nicht die “Farbstoff-Schildlaus” Haiders, sondern die düstere SPÖVP-Prophezeiung einer angeblich drohenden isolierten österreichischen Volkswirtschaft war die bestimmende Angstpropaganda der 1990er. Siehe dazu u.a. dieses Kapitel von “Staatsstreich in Zeitlupe”.
Alle damals gebrachten Argumente, warum die Eingliederung in einen europäischen Großstaat unbedingt sein müsse, haben sich in Luft ausgelöst. Weder ist die EU der damals in Aussicht gestellte Wachstumsmotor geworden, noch sind in mit Österreich vergleichbaren Fällen jene schrecklichen Dinge passiert, die für den Fall einer Nichtübernahme der Gemeinschaftswährung vorhergesagt wurden.
Im Gegenteil: Länder, die sich nicht integriert und/oder den Euro nicht übernommen haben, scheinen eher besser gefahren zu sein. Das Paradebeispiel dafür ist die Schweiz, die nicht einnmal Mitglied des Europäischen Währungsraums (EWR) ist.
Freibrief für politische Klasse
Umgekehrt ist deutlich geworden, dass das herrschende polit-mediale Kartell die Abstimmung von 1994 systematisch als Carte Blanche, als Freibrief für selbstherrliches und eigenmächtiges Vorgehen nutzt. Keiner der seither abgeschlossenen, enorm weitreichenden EU-Verträge ist einer Abstimmung durch den angeblichen Souverän des Staats, das Volk, unterworfen worden. Das ist so, weil unsere herrschende Kaste Teil jener verlogenen Junta
ist, deren Spitze die Kommission in Brüssel bildet. Jene Kommission, die die TTIP-Verhandlungen mit den USA vor der Öffentlichkeit geheim hält (oder es zumindest versucht).
Bestünde ein echtes Risiko den Zutritt zum gemeinsamen europäischen Markt zu verlieren, läge ein gewichtiges pragmatisches Argument gegen das Austritts-Volksbegehren am Tisch. Das ist aber nicht der Fall – bzw. nur dann, wenn sich die EU nicht an Recht und Gesetz hält und willkürlich, aus der Position des übermächtigen Nachbarn agiert – wie weiland Adolf Hitler mit seiner Tausend Mark-Sperre.
Österreich ist von EU-Staaten umgeben. Es erwirtschaftet gut 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit Lieferungen ins benachbarte Ausland, speziell nach Deutschland. Würde es aus dem gemeinsamen Markt ausgesperrt, hätte dies ohne Zweifel gravierende wirtschaftliche Folgen.
Bestünde diese Gefahr, wäre es vielleicht besser opportunistisch zu kuschen. Die Chancen, mit der Schweiz vergleichbare bilaterale Verträge verhandeln zu können, sind jedenfalls nicht allzu gut.
Der EWR gilt weiterhin
Der Grund, warum keine wirkliche Gefahr besteht den Marktzutritt zu verlieren, liegt in drei Buchstaben: EWR. Der Europäische Wirtschaftsraum ist eine vertiefte Freihandelszone zwischen der EU und der EFTA, die in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre abgeschlossen wurde, damals als Vorstufe zum Beitritt. Österreich hat wie beispielsweise Norwegen – aber auch Schweden und Finnland – diesen Vertrag unterzeichnet. Er ist unmittelbar vor dem Beitritt, im Jahr 1994 auch umgesetzt worden. Auch für die EWR-Staaten gelten die vier Freiheiten der Union: für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital.
Bei den skandinavischen EU-Mitgliedern und Österreich besteht die EWR-Mitgliedschaft weiter, sie wird derzeit aber von der EU-Mitgliedschaft überlagert. Der EWR wäre eine Rückfallposition, die beispielsweise Deutschland so nicht zur Verfügung steht. Nicht von ungefähr hat das jüngste EU-Mitglied, Kroatien, seit April 2014 einen Antrag für die provisorische Zulassung zum EWR laufen.
Der den europäischen Völkern oktroyierte Vertrag von Lissabon sieht gemäß Artikel 50 erstmals die Möglichkeit eines Austritts aus der EU vor. Das ist keine Großzügigkeit, sondern etwas, das in modernen Vertragswerken selbstverständlich ist. Aus einem Vertrag, in den man ein-, muss man auch wieder aussteigen können. Das gilt vom Konsumentenrecht bis hin zu internationalen Rüstungsverträgen.
Für den Austritts-Fall ist seit Lissabon ein fixes Prozedere vorgesehen. Dessen Umstände und der folgende rechtliche Zustand müssen mit der Kommission verhandelt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass eine Wiener Regierung sich bei solchen Verhandlungen ins eigene Bein schießt und ohne Not einem Ausschluss aus dem Binnenmarkt zustimmt.
Wer sich über die Argumente der Austrittsbefürworter informieren will, kann das beispielsweise hier oder hier tun. Sie sind beachtlich.
Das bedeutet leider nicht, dass sich der Wille der Volksbegehrer auch in Politik und Gesetzgebung niederschlagen muss – wie erfolgreich sie auch gewesen sein mögen. Schon einmal ist ein österreichisches Volksbegehren mit 1,4 Millionen Unterzeichnern einfach schubladisiert worden.
Nachbemerkung, 16.6.2015, 11.30 Uhr: Nein, die EWR-Aktion Kroatiens hat nichts mit vorsichtigem Verhalten vor einer Beitrittsabstimmung zu tun. Die Beitrittsabstimmung erfolgte Anfang 2012, der EU-Beitritt selbst Mitte 2013. Ende 2013 trat Kroatien dem EWR bei und seit April 2014 versucht Zagreb die letzte juristische Hürde für eine aktive EWR-Mitgliedschaft aus dem Weg zu räumen.
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