Gas in Europa: mehr Verbrauch, weniger Zufluss Anfang 2025

Während die alles entscheidenden Gasimporte nach Europa laufend zurück gehen und sich gegenüber der “Vorsanktionszeit” um 20 bis 27 Prozent verringert haben, ist der Verbrauch gegenüber dem Vergleichszeitraum 2024 gestiegen, jedoch noch immer geringer als 2022. Am stärksten dürften Industrie, Wohnbevölkerung und Energie-Standortpolitik in Deutschland verloren haben. Nachtrag zum Thema Füllstände.

Vorbemerkung: Die Statistik, könnte man sagen. “ist ein Hund”. Das ist so, weil a) die sprichwörtlich gewordene Fälschung in vielen Fällen “nur” in teilweiser Geheimhaltung, opportunen Vermengungen, nicht passgenauen bzw. nicht vergleichbaren Daten etc. besteht. Aber b) auch deswegen, weil der Laien-Beobachter von außen die vorgenannten Tricks und Fallen nicht erkennt, “zu wenig genau hinschaut” und allgemein fehleranfällig ist (Übertragungs-, Rechenfehler).

Es gibt freilich Datensätze, die eine vielleicht nicht “total tiefenscharfe”, aber doch einigermaßen genaue Beurteilung erlauben, sofern man diese Quellen zuerst “historisch-kritisch würdigt”. Für das vorliegende Thema werden die Daten von AGSI-GIE, Bruegels “European natural gas imports” sowie die einschlägigen Angaben der deutschen Bundesnetzagentur heran gezogen. Jeder dieser Datensätze hat auch seine Einschränkungen und “Fallstricke” (siehe Haupttext).

Um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren, wird die Jahr für Jahr fallende  EU-Eigenproduktion als vernachlässigbare Größe angesehen, betrug diese 2023 doch nur mehr 34.4 von 319,5 verbrauchten Mrd. Kubikmetern, also 10,8 Prozent (siehe dazu Energy Institute, Statistical Review of World Energy, 2024, pp. 37 und 39).

Dazu kommt, dass der mittlerweile größte einzelne Erdgaslieferant der Union, Norwegen, formell zwar nicht Mitglied ist, von Brüssel bzw. der NATO und den USA aber faktisch kontrolliert wird. Das skandinavische Land ist ohne jeden Zweifel aber ein “europäisches”.

Um “oben” zu beginnen, sollen die Daten von AGSI den Anfang machen Sie zeigen die Zu- und Abflüsse zu bzw. aus den europäischen Speichern sowie deren “Füllstände”.

Wie in mehreren früheren Postings erwähnt – und anders als noch vor zwei Jahren angenommen – scheinen dessen “injections” buchhalterische Werte zu sein, die nur bedingt mit realen Gasflüssen zu tun haben (weswegen der verbuchte “Storage-Wert” nur zum Teil “wirklich gebunkertes CH4″ anzeigt).

Der andere Teil dürften “Forderungen gegen Verkäufer” sein – Mengen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert werden (oder eben nicht). Dafür spricht erstens die Überlegung, dass es wirtschaftlich ist, die Exportinfrastruktur, z.B. Pipelines, möglichst kontinuierlich auszulasten. Andere Veröffentlichungen, die auf reale Gasflüsse abheben, zeigen, zweitens, auch kein so diskontinuierliches Muster wie die AGSI-Injections nahe legen.

Eine – hoffentlich korrekte – Berechnung zeigt Abflüsse aus den Speichern der jüngsten Winterperiode der AGSI-EU (1.12.2024 – 23.3. 2025) in Höhe von 635,3 TWh, wohingegen im selben Zeitraum nur 42,6 TWh “zugebucht” wurden, also nicht einmal 7 Prozent. Es wäre seltsam, würde es sich hier um längerfristig vereinbarte grenzüberschreitende Gasflüsse handeln

(möglicherweise sind die Zuflüsse im Winter LNG-Ladungen, die kurzfristig auf irgendeiner Nicht-EU-Rohstoffbörse mit (digitalem) Cash gekauft und gleich abtransportiert wurden).

Anders dürfte die Sachlage bei den “Withdrawals” sein. Hier handelt es sich um reale Flows, die überwiegend zeitnah verbraucht werden – z.B. von Industrieunternehmen oder Haushalten; manches mag auch an Zwischenhändler gehen, die das Gas aus dem Berichtsgebiet verbringen).

Ein von diesem Blogger angestellter Vergleich der “Withdrawals” der vergangenen sieben Heizsaisonen (jeweils vom 1.12 bis zum 23.3. des Folgejahres) zeigt für den aktuellen Winter um fast 40 Prozent höhere “Withdrawals” als in der Vergleichsperiode des milden Vorwinters (635 TWh gegenüber 456 TWh).

Die Abflüsse der Heizsaison 2022/23 lagen ebenfalls deutlich unter dem aktuellen Wert (mit 477 TWh).

Auch im letzten “Vorsanktionswinter” 2021/22 waren die “Withdrawals” nicht so hoch wie 2024/25, wenngleich deutlich höher als in den darauf folgenden milden Wintern (554 TWh).

In den Vergleichsperioden 2020/21 sowie 2017/18 waren die Abflüsse aus den Gasspeichern der AGSI-EU höher als im aktuellen Winter (soweit das anderweitig publizierte Datenmaterial trägt, scheint dieser Befund in einem relevanten Einzelfall innerhalb der EU bestätigt zu werden).

Die Importe der EU-27

Der Gas-Importtracker des Think Tanks Bruegel bringt naturgemäß nur Daten über die “Supply-Seite” von Erdgas in der EU-27, also (Brutto-)Einfuhren in die Union nach dem Ausscheiden Großbritanniens. Hier wurden u.a. jeweils die ersten zwölf Kalenderwochen der vergangenen fünf Jahre verglichen. Geboten werden von Bruegel u.a. aber auch Daten zur Einfuhr von Flüssiggas, dessen Herkunftsländer und die wichtigsten Importrouten.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Importtracker sind IMO:

  • Die realen Einfuhren in die EU (KW 1 – 12) sind in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich zurück gegangen, von 82,9 Mrd. Kubikmetern 2021, als die russische Föderation der noch bei weitem größte Erdgasversorger der EU war, auf heuer 66,6 Mrd. m3, also um kumuliert 19,7 Prozent. 
  • Die Marktverhältnisse zu Jahresbeginn 2025 waren ähnliche wie sie in früheren Postings in diesem Blog für die Jahre 2023 und 2024 dargestellt wurden. Norwegen war in den ersten zwölf Kalenderwochen dieses Jahres  mit 20,9 Mrd. Kubikmetern der größte Einzellieferant, gefolgt von den USA, deren Flüssiggas ziemlich genau die Hälfte jener 28,9 Mrd. m3 LNG ausmachte, die die EU-27 erreichten.
  • Dritte waren – weit abgeschlagen – die Russen, sofern man deren LNG-Lieferungen mitzählt (zusammen deutlich mehr als 8 Milliarden Kubikmeter). Die einzig verbliebene operative “russische Pipeline”, Turkstream, lieferte je nach Angaben zu Jahresbeginn 2025 lediglich zwischen 4,2 und 4,4 Mrd. m3. Der stärkste Konkurrent der RF ist heute Algerien, das 7, 8 Mrd. m3 hauptsächlich nach Italien und Spanien liefert, weitaus überwiegend per Pipeline (die LNG-Kapazitäten Algeriens sind diesem Blogger unbekannt).
  • Mit der weitgehenden Entfernung des früheren Marktführers Russland aus Westeuropa sind massive Gewinne bei LNG einher gegangen (was nicht nur, aber auch mit dem Wachstum/Ausbau der einschlägigen Kapazitäten zusammenhängt: Schiffe, <Re>Gasifizierungsterminals. Waren 2021 in den ersten Monaten des Jahres erst 14,5 Mrd. m3 LNG geliefert worden, waren es heuer – wie erwähnt – bereits 28,9 Mrd. m3. Das ist ein Zuwachs von mehr als 14 Mrd. m3 binnen fünf Jahren bzw. ein Marktanteilsgewinn von unter 20 auf über 40 Prozent. Der bei weitem dominierende Faktor im LNG-Geschäft sind die USA – vor allem, wenn man deren “Verbündete” mit rechnet (Katar).

Der Fall Deutschland

Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Datensatz der deutschen Bundesnetzagentur (BNA). Zwar macht D nur ein gutes Viertel der EU aus, die auf der BNA-Webseite veröffentlichten Daten umfassen jedoch sowohl “reale Zuflüsse” als auch “reale Verbräuche” und sind somit umfassender als Angaben zu Bruttoimporten.

Wenn man unbedingt etwas bemängeln will, dann den Umstand, dass die Daten nicht allzu weit zurück reichen.

Für die Einfuhren nach D hat dieser Blogger immer das Konzept der Nettoimporte verwendet, siehe dazu z.B. hier.

Nettoimporte sind die (Gas-)Einfuhren eines Landes minus (Gas-)Ausfuhren.

Vorausgesetzt, es gibt keine nennenswerte Steigerung der Eigenproduktion, eignet sich das Konzept hervorragend dafür, die für die eigene Bevölkerung und die eigenen Firmen zur Verfügung stehende, aus Gas gewonnene dichte Energie zu messen und beurteilen.

Dieser Blogger hat die ersten 12 Kalenderwochen der Jahre 2025 und 2022 verglichen (irrtümlich, es wären nämlich auch Daten von 2021 vorhanden gewesen; der Unterschied dürfte freilich nicht allzu hoch sein.)

Das Ergebnis war:

In diesen fünf Jahren gingen die Bruttoimporte Deutschlands um 49 und die Nettoimporte um 26,6 Prozent zurück, nämlich von 389 auf 198,6 TWh und von 229,6 auf 168,6 TWh respektive.

Das ist, mit Verlaub, gewaltig

- sowohl für den “Energiestandort Deutschland” (Bruttoimporte) als auch für Volk und Wirtschaft (Nettoimporte).

Das zweite beachtenswerte Element der BNA-Daten betrifft die verschiedenen innerdeutschen Verbrauchskategorien.

Dieser Blogger hat sich in seiner Analyse den deutschen Gesamt-Verbrauch sowie jenen der dortigen Großkunden angesehen (“RLM”; beinhaltet Industrie und Stromerzeuger). Auch hier wurden wieder jeweils die ersten 12 Wochen verglichen, wobei der “historische Vergleichszeitraum” der Durchschnitt der Jahre 2018 – 2021 war.

Ergebnis:

2025 wurde allgemein knapp 7 Prozent weniger verbraucht als im Zeitraum 2018 – 2021 (aber mehr als im Jahr 2024), nämlich 44.318 gegenüber 47.414 GWh.

Dieser Befund unterstützt die “Deindustrialisierungsthese” nicht und lässt auch die angeblichen “Effizienzgewinne durch technischen Fortschritt” mager aussehen. Möglicherweise freilich werden die Effizienzsteigerungen in der Industrie durch vermehrte “Dunkelflauten” (teilweise) ausgeglichen, die zu einem höheren Gasbedarf der Stromerzeuger führen.

Die Nachfrage der RLM-Kunden war in der Vergleichsperiode 2025 überhaupt nur um vier Prozent niedriger als im Schnitt 2018 – 2021  (nämlich 22.774 gegenüber 23.702 GWh).

Zuletzt sei noch auf die auf Basis der BNA-Daten darstellbare extreme Saisonalität des Gasverbrauchs hingewiesen:

Der deutsche Gaskonsum beläuft sich im Jänner und Februar auf 3.000 bis 4.000 GWh pro Woche, in den Sommermonaten hingegen suf 1.200 bis 1.300 GWh. Während in der Heizsaison fast 45 Prozent des Gasverbrauchs auf das Konto von Haushalten und Gewerbe gehen, kommt die Nachfrage ab Juli zu 99 Prozent von Großkunden.

Nachbemerkung, 1. April, 8.15 Uhr: Ich scheine wieder einmal einem “alten Leiden” erlegen zu sein und die wichtigste, jedenfalls aber die Ausgangsfrage vergessen zu haben – die nach der “Relevanz der Füllstände”. Diese sind, wie bereits mehrfach betont, nur in Zusammenhang mit der Aussicht auf bald und sicher eintreffenden “Entsatz” wichtig, sozusagen. Also: Der Füllstand der AGSI-EU ist heuer trotz aller oben geschilderten realen Zuflüsse von 85 Prozent am 1. Dezember 2024 auf nun unter 34 Prozent zurück gegangen .Aber: Wie z.B. Bruegels Fig. 8 zeigt,  war der Rückgang der Speicherbestände zu Jahresbeginn 2021 und 2022 ähnlich stark wie heuer – in Zeiträumen, als die Russen noch in die EU geliefert haben.

Unabhängiger Journalist

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