Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die deutsche Energiewende belastet die Haushalte mit Hunderten Milliarden Euro – hat damit aber nur erreicht, dass Strom zu einer Zeit und an Orten produziert wird, wo er nicht gebraucht wird. Das Projekt gefährdet Netzsicherheit und wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Stromproduktion. Das haben vergangene Woche Branchenbeobachter unterschiedlicher Herkunft eingeräumt.
Nun könnte man einwenden, dass die Erkenntnis ein alter Hut sei, weil das mittlerweile sogar Politiker zugeben, die maßgeblich an der Schaffung dieser Fehlkonstruktion beteiligt waren.
Beispielsweise der heutige deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel. Auch der sprach im April ein paar unbequeme Wahrheiten aus: „Die Wahrheit ist, dass die Energiewende kurz vor dem Scheitern steht.” „Die Wahrheit ist, dass wir auf allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben”. “Für die meisten anderen Länder in Europa sind wir sowieso Bekloppte.” Die O-Töne dazu finden sich hier.
Der Einwand, dass dies alles altbekannt sei, wäre valide, wenn … – die traditionellen Medien laufend darüber berichten würden. Diese weigern sich aber das zu tun (im genannten Fall mit zwei Ausnahmen). Sie berichten über die um sich greifende Ernüchterung in der Regel nicht einmal in distanzierter oder kritischer Form. In den wenigsten Fällen geben sie sich Mühe (oder nahmen sich die Zeit) zu verstehen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Sie ziehen es vor, zu schweigen – wie über so viele andere Dinge, zum Beispiel hierüber, hierüber und hierüber.
Wie sehr der Wind in der politisch-ökonomischen Elite umgeschlagen ist, zeigten vergangene Woche zwei Veranstaltungen, die in Wien abgehalten wurden. Beide kreisten um die Widerstandsfähigkeit von Staat und Gesellschaft gegenüber externen Schocks („Resilienz“).
Eigentlich würde man bei derlei Foren Loblieder auf ein Modell erwarten, das eine Dezentralisierung der Energieversorgung verfolgt – und die diese dadurch weniger krisenanfällig macht.
Theoretisch wenigstens.
Loblieder wurden in Wien aber keine intoniert. Die Aussagen hörten sich eher nach Bußpredigten an – aber welchen, in denen die armen Sünder und ihre Verfehlungen nicht beim Namen genannt werden.
Der eine Experte war Bernd Benser, Geschäftsführer eines deutschen Think Tanks, der sich mit Elektrizitätsnetzwerken beschäftigt. Der andere Karl Rose, ein Grazer Universitätsprofessor und Unternehmer. Beide sind sich hörbar bewusst, dass die „Energiewende“ von einem politischen Konsens von ganz rechts bis ganz links getragen wird, dass diese zu den Schoßhündchen der veröffentlichten Meinung gehört und dass es „nicht korrekt“ ist, sich negativ darüber zu äußern.
Böse Zungen würden Bensers Gridlab-Funktion mit der (früheren) rotschwarzen Landesregierung in Brandenburg in Zusammenhang bringen – wohl nicht zu Unrecht. Der Cottbuser ist ein in der Wolle gefärbter CDUler und die deutsche Energiewende trägt heute die Züge von Mutti Merkel. Kritische Worte über dieses historisch beispiellose Projekt sind in der CDU nicht nur „nicht hilfreich“ (Merkel), sondern nachgerade selbstmörderisch.
Benser spricht dennoch offen aus, dass die neu entstandenen riesigen Mengen von volatilem Strom die Versorgungssicherheit gefährden. Die nicht planbare und nicht speicherbare diskontinuierliche Elektrizität bedrohe das Netz, sagte er.
2013 habe ein (konkreter) deutscher Übertragungsnetzbreiter 260 Mal in das Netz eingreifen müssen, um einen Ausfall zu verhindern. In den ersten fünf Monaten 2014 hätten sich diese Interventionen verdoppelt und in Zukunft würden diese riskanten Situationen an jedem Arbeitstag mehrfach stattfinden. “Wir sollen bis 2020 zusätzlich 50 Gigawatt erneuerbare Energie bekommen, aber nur zwölf Gigawatt Leitungskapazität.” Das “System fährt immer öfter am Limit”.
Herzstück seiner Kritik ist eigentlich der ungenügende Netzausbau – ein Problem, das sich im Prinzip durch „mehr Geld“ beheben lassen würde; oder durch regulatorische Eingriffe beispielsweise bei den deutschen Speicherkraftwerken, die heute ihre Standby-Zeiten nicht bezahlt bekommen. “Das hat dazu geführt, dass diese nicht rentabel betrieben werden können und daher verkauft werden.”
Oder eben, dass sie gar nicht gebaut werden wie ein von RWE und EnBW geplantes Pumpspeicherkraftwerk im südlichen Schwarzwald. Diese Anlagen sind aber ein Herzstück des Konzepts, weil sie besser als jedes andere heute verfügbare System Energie speichern können. Sie rechnen sich „nur“ nicht.
Befragt, ob der von ihm gewünschte Netzausbau und genügend Geld ausreichen würden, um die Energiewende sicher auf den Boden zu bringen, antwortete Benser: “Leider nicht einmal annähernd.” Seines Wissens gebe es noch keine überzeugende technische Lösung für die Speicherung überschüssigen Wind- und Solarstroms. “Wir müssten heute von Batterietürmen von 30 bis 50 Metern Meter Höhe sprechen. Das ist die Größenordnung. Wenn ich mir vor Augen halte, welcher Aufwand in unserem Haushalt getrieben wird, um Akkus für alte Handys zu entsorgen…”
Primär will der Mann den Ausbau von etwas, das Grüne und lokale Bürgerinitiativen liebevoll „Stromautobahnen“ nennen. Es ist ein richtiges “Geschäftsmodell”, das Infrastrukturkonzernen Milliardeumsätze bringt. Die Idee hinter diesen Aufträgen lautet folgendermaßen: Gäbe es mehr solche „Highways“, könnte Deutschland seinen Windstrom leichter exportieren. Bloß wohin? Niemand in den Nachbarstaaten benötigt Strom, weil in Deutschland gerade der Wind bläst oder die Sonne scheint.
Länder wie Tschechien und Polen sind gerade dabei, an ihren Grenzen Phasenschieber einzubauen, um Energieflüsse, für die sie keine Verwendung haben, zu unterbinden.
Derlei findet an der österreichischen Grenze nicht statt, denn „die deutsche Energiewende ist gar keine deutsche, sondern eine deutsch-österreichische. Ich frage mich, ob alle österreichischen Minister wissen, dass wir einen gemeinsamen Strommarkt haben“, meinte Karl Rose, Professor an der Grazer Karl-Franzens-Universität.
Er ist einer, der viel Verständnis für “die Industrie” hat. Der Mittfünfziger ist gewohnt, in großen Räumen zu denken. Und trotzdem entschlüpft ihm im Zusammenhang mit der österreichischen Situation der Ausdruck: „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.“
Kein Wunder, könnte man nun einwenden: “Rose ist Erdölwissenschaftler, der Jahrzehnte für Shell gearbeitet hat”. Doch der Mann ist selbst so etwas wie ein „grüner Unternehmer“ mit Projekten in Photovoltaik und E-Mobilität und ein Standortideologe, der keine Gelegenheit verstreichen lässt, die Notwendigkeit niedriger Energiepreise für die Industrie zu betonen.
Und die “deutsch-österreichische” Industrie ist in zweifacher Weise Nutznießer der Energiewende: Erstens weil sich die Großhandelspreise durch die massive Förderung halbiert haben und zweitens weil energieintensiven Großbetrieben Privilegien eingeräumt wurden, weshalb diese nur wenig zu den Kosten des ehrgeizigen Projekts beitragen.
Die Rechnung begleichen die Privaten und das Gewerbe (über den EEG-Zuschlag). Die deutschen Verbraucher bezahlen für den Strom so viel wie sonst nirgendwo. )Die Österreicher müssen dagegen nichtannähernd so tief in die Tasche greifen wie ihre Nachbarn – aber auch im Süden sind manche gleicher als andere.)
Roses Empathie liegt bei den produktiven Betrieben, nicht bei den „kleinen Leuten“. Der Managementprofessor weiß aber, dass die von den kleinen Leuten einkassierten, 23 Milliarden Euro jährlich auf eine Weise ausgegeben werden, dass sie massive Verzerrungen verursachen.
Rose erläutert, dass wegen der Wende hochmoderne Gasakraftwerke geschlossen werden und Österreich seine „Wasserkraftwerke in dieser Form eigentlich gar nicht mehr bräuchte”. Nicht einmal die bereits abgeschriebenen Laufkraftwerke seien unter den gegenwärtigen Bedingungen noch wirklich konkurrenzfähig.
Dafür werden (in Deutschland) Kohlekraftwerke in Betrieb genommen bzw. gebaut.
Wegen der künstlich erzeugten Preisbaisse hätten die deutschen Energiekonzerne u.a. über Abschreibungen 150 Mrd. Euro Kapital vernichten müssen, sagte der Steirer bei einer Veranstaltung an der Landesverteidigungsakademie in Wien.
Er erinnerte an Verbund-CEO Wolfgang Anzengruber, der vor kurzem von einer „Blutspur“ gesprochen hatte, die sich durch die Bilanzen der traditionellen Stromerzeuger zieht (was wiederum zur Einstellung von Investitionsprojekten führt). Mit einem Wort:”Das Ganze ist der totale systemische Wahnsinn.”
Foto: Hans Hillewaert, Wikimedia Commons
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