Die Russen, die Amis und das “europäische Erdgas”

Die Kriegstreiber und ihre medialen Propaganda-Tröten machen um das wie bisher nach Europa gelieferte russische Flüssig-Gas viel Aufhebens. Eine nüchterne Analyse der Entwicklungen seit 2021 zeigt jedoch, dass die US-LNG-Lieferanten in den vergangenen zwei Jahren ihren europäischen Marktanteil mehr als verdreifachen konnten, 1024px-Yamal-europe_resizedwohingegen sich der russische Marktanteil mehr als halbiert hat. Mit der absehbaren Stilllegung des Südarms der Jamal-Pipeline werden die russischen Marktanteilsverluste weiter gehen. Der Prozentsatz des teuren LNG steigt überall, wo auf beiden Wegen geliefert wird.

Vorbemerkung: Die folgenden Ausführungen stützen sich auf tabellarische Angaben der Statistical Review of World Energy der Jahre 2022 – 2024.

Das älteste File wurde noch von BP zusammengetragen, die Ausgaben 2023 und 2024 erschienen bereits unter Schirmherrschaft des Energy Institute. Alle Datenwerke sind im Internet herunterladbar, wobei für diesen Eintrag fast ausschließlich die historischen, also nicht revidierten Zahlen verwendet wurden.

Es ist dies der zweite – und vielleicht letzte – Teil der hier mit Erdöl begonnenen “Inspektion” des traurigen “Energie-Status Quo” Europas.

Ausgangspunkt ist auch hier das Jahr 2021, das (auch) in der Erdgasversorgung Europas für eine gewisse Normalität stehen kann.

Schon dieses Narrativ lässt sich freilich insofern kritisieren, als 2021 als Ausnahmejahr, als erstes nach der Pseudo-Seuche gesehen werden kann;

als ein Jahr, in dem die ökonomischen Werte von 2019 noch nicht erreicht worden sind.

Dennoch wird hier an der “Periodisierung” ab 2021 fest gehalten, weil auf diese Weise die abrupten Änderungen der beiden vergangenen Jahre am deutlichsten werden.

2021, vor dem Ukraine-Krieg und den sg. Sanktionen des Westens, wurde “Europa” noch zu knapp einem Drittel von Erdgas aus der Russischen Föderation und zu gut 20 Prozent durch Norwegen versorgt. Erdgas war (in Europa) damals erst zu etwas mehr als 5 Prozent US-amerikanisches LNG.

Dieses Bild hat sich in den vergangenen beiden Jahren auf geradezu Atem beraubende Weise verändert. Die Russen haben “ihren” Marktanteil von 2021 mehr als halbiert, während die Amis den “ihren” mehr als verdreifacht haben

(Marktanteil ist hier jener Prozentsatz, den die Erdgas-Gesamtexporte – Pipeline & LNG – nach “Europa” am Verbrauch von “Total Europe” haben. Dieses hat 2023 nur mehr 463,4 Mrd. Kubikmeter konsumiert – Statistical Review ’24, S. 39).

Folgend eine Tabelle mit den heute drei größten Erdgas-Lieferanten “Total Europes” – wobei US-Flüssiggas 2021 noch weit abgeschlagen unter “ferner liefen” zu verbuchen gewesen war.

Die zweite Spalte zeigt den Wert 2021 (jeweils Summe Pipeline und LNG; allein die US-Mengen sind nur LNG – es gibt keine transatlantische Pipeline), die dritte Spalte jenen von 2022 und die vierte den von 2023.

Der russische Wert wurde 2023 um “Daumen mal Pi” 4 Mrd m3 vermehrt, um statistisch nicht aufscheinende “trans-shipments” zu reflektieren.

Die fünfte Spalte zeigt die Veränderung zwischen 2021 und 2023 in Mrd. Kubikmetern und Prozenten. Die sechste Spalte schließlich bringt den von diesem Blogger errechneten Marktanteil 2023; etwaige Rechenfehler gehen allein auf meine Kappe.

Erdgasimporte n. Europain Mrd m3
’21 ’22 ’23 Δ 21/23in Mrd m3  und % MA ’23
RF  184,4 105  73,2  -111,2 Mrd.m3,      -62,5%  15,8%
N  113,1  120,5  116,2  +3,1 Mrd m3,+2,7%  25,1%
USA  30,8  72,1  76,2  +45,4 Mrd m3, +147,4%  16,4%

Das “große Bild” des Jahres 2023 ist also klar:

  • Die “Nummer 2″ des Jahres 2021, Norwegen, ist heute der “deutliche Marktführer”, hauptsächlich wegen seiner – konstanten – Lieferungen über unterseeische Gasleitungen und
  • der frühere “Platzhirsch” Russland sowie die kometenhaft aufgestiegenen LNG-Lieferanten aus den USA “matchen sich abgeschlagen um den zweiten Platz” (wobei die USA bereits die Nase vorne haben und mit dem  politisch und rechtlich begründeten “Abklemmen” der Jamal-Route über SK wohl weiter voranziehen werden; auch die vorgeblich expertengeleitete österreichische Regierung spielt hier seit Monaten eine unrühmliche Rolle).

Trotz der seit spätestens drei Wochen einsehbaren Jahreszahlen 2023 erscheinen auch heute noch Artikel wie dieser, die nach Meinung dieses Bloggers ein – wohl systematisch – verzerrtes, wenigstens aber fragwürdiges Bild entstehen lassen.

Weitgehend ohne Zuflucht zu buchstäblichen Lügen zu nehmen, wird hier u.a. der irrige Eindruck erweckt,

  • dass die Russen quasi über die Hintertür LNG bald wieder das Kommando über den europäischen Gasmarkt übernehmen,
  • dass die Gewinne aus russischen LNG-Geschäften es Moskau ermöglichen, den Krieg in der Ukraine (weiter) zu führen,
  • dass das teure LNG überhaupt  ein spezieller Trick der bösen Putins sei und
  • dass das gute US-LNG sozusagen den Nothelfer in einer Situation gespielt habe, in der sich Russland entschieden habe, “den Gashahn für ‘Europa’ abzudrehen”.

Ein solcher Eindruck ist/wäre aus zahlreichen Gründen freilich Mumpitz, unter ihnen:

  • Die RF liefert mittlerweile insgesamt weniger als 75 Mrd. m3 Gas nach “Europa”, was einem Marktanteil von nicht einmal 16 Prozent entspricht. Zwei Drittel davon kommen über Pipeline, das meiste über “Turkstream” und etwa ein Drittel noch über den Süd-Arm der Jamal (siehe Grafik über dem “Falz”).
  • LNG ist mitnichten ein Winkelzug der Russen, sondern eine “säkuläre Tendenz”, die zu erster Blüte mit der “Shale-Revolution” in den USA gekommen ist. Kein Wunder also, dass “the amount of russian LNG for Europe has risen to record levels”.  Es ist auch nicht zwingend so, dass LNG wegen seines hohen Preises “rasend profitabel” sein muss. Aus den erzielten Umsätzen müssen immerhin die Aufwändungen für neue Hafenanlagen und Schiffe bedient werden, weswegen im Fall der RF zweifellos viel weniger als die milchmädchenmäßig errechneten zwei Mrd. Dollar übrig bleiben, die die Russen bisher aus LNG shipments nach “Europa” vereinnahmt haben sollen. Es ist jedenfalls unsinnig zu vermeinen, dass sich ein Krieg wie jener in der Ukraine nachhaltig durch solche Gewinne  (mit)finanzieren ließe.
  • Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach den angeblich gutartigen Motiven, aus denen die USA “helps Europe to replenish gas stocks”. Das ist das Narrativ der NATO-Fanboys (und – girls). Das Narrativ der Russen ist,im Gegenteil, dass sich die USA mit diplomatischer und militärischer (Droh-)Gewalt im europäischen Erdgasmarkt an die zweite Position gerempelt haben – und wenn man sich die obige Tabelle ansieht, ist dieses Narrativ nicht so unplausibel (dieser Blogger ist aus anderen Gründen aber nach wie vor der Meinung, dass die Russen nur mehr eingeschränkt lieferfähig sind und dass ihnen die “westlichen Sanktionen” zupass kommen).

Nun sind solche “Big Pictures” nicht nur jene irgendwelcher Schmieranten, sondern auch von angeblich seriösen Leute, wie des kürzlich “in die Wissenschaft gewechselten” ehemaligen “EU-Botschafters in Wien”, siehe u.a. hier.

Der Mann, der auch als Emissär der bayerischen CSU gesehen werden kann, war viele Jahre die graue Eminenz hinter dem damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker .

Einige Jahre nach Junckers Abgang fand er einen heimatnahen Ausgedinge-Posten in der österreichischen Hauptstadt.

Dort lieferte der “Diplomat im Dienst der Kommission”, Sedlmayr oder wie er heißt, seinen berühmt gewordenen Blutgeld-Sager

- wobei  man das vielleicht so sehen kann, aber schon die Frage erlaubt sein muss, wie es bei diesem Herren mit dessen Sinn für Proportionen bestellt ist.

Das ist wohl ein weiteres Bindeglied zwischen einem britischen Schmieranten und einem “in die Wissenschaft gewechselten” angeblichen Diplomaten,

die vordergründig ja über zwei verschiedene Dinge gesprochen haben: über russisches LNG der eine und über das letzte Tröpfeln russischen Erdgases über die Jamal-Süd der andere.

Der Sinn für Proportionen scheint beiden zu fehlen.

Der eine hält 24 Mrd. m3 (regasifiziertes) russisches LNG für eine herauf dämmernde neue SU-Ära

und der andere 14 Mrd. m3 über Jamal-Süd für essentiell für die russische Finanzierung des Ukraine-Kriegs.

Dummschwätzer sind, würde ich urteilen, beide,

aber das ist die Wiener Energieministerin mutmaßlich auch.

Grafik: Samuel Bailey (sam.bailus@gmail.com), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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