Ösi-Wahl: Die Bellen-Einvolkung und was die Presse draus machte

Lettland, Baltenumsiedlung
Lettische Beamte prüfen volksdeutsches Umzugsgut, Quelle: Wiki, Bundesarchiv

Alexander van der Bellen, der für das Wiener Polit-Kartell zur Präsidentschaftswahl antritt, ist zum Flüchtlingskind stilisiert worden und das gab ihm und den berichtenden Medien einen moralischen Hebel die Aufnahme einer praktisch unbegrenzten Zahl von Migranten zu fordern. Doch die Van der Bellens waren nicht Flüchtlinge oder auch nur Migranten im heutigen Sinn. Sie waren Objekte und Begünstigte  der nationalsozialistischen Volkstumspolitik.

Es besteht eine beträchtliche Aversion, dem Thema dieses meines Eintrags näher zu treten, auch und gerade unter Gruppen, die seit langem unter einer gewissen, politisch korrekten Geschichtspolitik leiden: “Der Van der Bellen, von dem heute die Rede ist, war damals noch nicht auf der Welt. Ich will weder Sippenhaft betreiben noch mit Nazidreck um mich werfen.”

Das ist okay, aber es verkennt das zentrale Anliegen. Es geht nicht darum, aus der bequemen Sicht eines Spätgeborenen jemandem etwas vorzuwerfen. 

Wäre ich damals an der Stelle von Van der Bellen senior gewesen, hätte ich mich ziemlich sicher auch für die Umsiedlung ins Adolfinische Reich entschieden – und wäre heilfroh gewesen, dass meine Familie davon gekommen ist. Ich erlaube mir nur, mich über gewisse Begleitumstände zu wundern.

Hier und hier wird auch keine Sippenhaft betrieben.

Die Einvolkung der Bellens ist ein legitimes Thema, weil sich daraus ein Narrativ entwickelt hat, der bis heute zur moralischen Erpressung der Öffentlichkeit eingesetzt wird.

Alexander Van der Bellen selbst hat sich schon als Grünen-Chef mit dem Nazidreckschleudern zurückgehalten und man kann ihm m.E. nicht einmal vorwerfen, er habe das Mem vom Flüchtlingskind überschießend genutzt.

Er hat sich aber nicht darum bemüht, diese holzschnittartige Erzählung mit dem realen Geschehen zu versöhnen.

Die Mär vom Flüchtlingskind und der damit geschaffene moral high ground ist eine Schöpfung der ihn umgebenden Journos. VdB hat sie in seinem Sinn eingesetzt (und vielleicht macht gerade das Politik aus).

Prof. Sascha hat das Mem verwendet um zum Beispiel zu fordern: “Flüchtlinge sollten die Möglichkeit haben, sich dort anzusiedeln, wo sie wollen.” Das ist allein aus praktischer Sicht verrückt, aber es ist wohl nicht extra verwerflich das im Rahmen eines spins zu verlangen, den andere produziert haben.

Flüchtlinge damals und heute

Vor zehn Monaten, als ich zum ersten Mal über die “Flucht ins Deutsche Reich” schrieb, hatte ich den heutigen Wissensstand noch nicht.

Damals ging ich davon aus, dass z.B. die Darstellung von Frau Sibylle in “Wohin man auch schaut: Lauter Flüchtlingskinder” auf einigermaßen richtigen Fakten beruht und dass die Van der Bellens – vielleicht in einem Lager – in der Nähe Estlands geblieben und erst 1944 vor der Roten Armee geflohen sind (die nächsten zwei, drei Jahre war in der weiteren Umgebung  ohnedies alles deutsch).

Das Thema hat mich zu diesem Zeitpunkt, ehrlich gesagt, nicht besonders interessiert, nur die penetrante Ideologisiererei ist mir sauer aufgestoßen.

Die Darstellung in besagtem Kommentar war – aus welchen Gründen immer – aber falsch, wenigstens grob ungenau.

Die Familie ist 1941 im Rahmen einer der letzten Umsiedlungsaktionen im Baltikum heim ins Reich geholt worden und hat sich danach (d.h. sie wurde) in Wien angesiedelt. Es handelte sich um die Einvolkung (bzw. “Ver-Reichlichung”) einer Sippe, die wenigstens zur Hälfte volksdeutsch war, etwas, das aus Berlin organisiert wurde.

Von der geschilderten ursprünglichen Version kann man heute nicht mehr ausgehen. Nach den quasi-offiziellen Darstellungen in “Zeit” und “Kurier (APA)” kann als gesichert gelten, dass die Van der Bellens über die Volkstumspolitik der Nationalsozialisten nach Wien gekommen sind, konkret: mithilfe des erst 1941 abgeschlossenen Nachumsiedlungsabkommens mit den Sowjets.

Die erkennbaren Umstände sind aber ein wenig seltsam.

Ein deutscher Dissertant namens Markus Leniger hat sich jahrelang an den Heimholungsaktionen der Kriegsjahre abgearbeitet und ist dabei selbst Details dieser Schleusungen nachgegangen.

Grundsätzlich pocht er darauf, dass die Einvolkung von Deutschen außerhalb der Reichsgrenzen und die Umvolkung neu eroberter “fremdrassig” besiedelter Gebiete eigentlich Hand in Hand hätten gehen sollen - also zum Beispiel: “Heimgeholte” Baltendeutsche sollten sich der Idee nach im von Juden und Polen “gereinigten” Warthegau ansiedeln und diesen neu kolonisieren. Im SS-Jargon nannte man das O-Fälle.

In der Praxis, sagt Leniger, habe es etwas ausgesehen. So seien nur 50 Prozent der volksdeutschen Aussiedler bis 1944 wieder im Osten angesiedelt worden (Leniger, Volkstumsarbeit, S.228).

In der Praxis wurden z.B. viele estnische Volksdeutsche “zum Arbeiten” ins Reich geschickt. Man sagte A-Fälle dazu, A wie Arbeiten oder Altreich.

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Quelle: Bundesarchiv, Wiki Commons

Alexander van der Bellen senior, in Talinn Angestellter einer englischen Bank, wurde unverzüglich eingebürgert und bekam einen Bürojob in Wien, angeblich im Außenhandel.

Ob solche Arbeitseinsätze im Altreich gezeigt haben, dass die Betroffenen rassisch als irgendwie minderwertig angesehen wurden, sei dahin gestellt (Leniger legt dies auf Basis volkstumstheoretischer Schriften von damals nahe).

Eigentlich sieht es von der heutigen Warte eher danach aus, als habe die Familie den Schutz der Behörden genossen. Es geht mich in concreto wenig an, aber es tät’ mich halt interessieren.

***

Doch zurück zum eigentlichen Thema, dem geschichtspolitisch aufgemotzten refugees welcome der hiesigen Medien.

Die gleiche Zurichtung der historischen Fakten, deren Anpassung an die Erfordernisse des aktuellen Narrativs fand auch anderswo statt – etwa bei den Flüchtlingen des Ungarn-Aufstandes von 1956, wie ich hier geschrieben habe.

In beiden Fällen war das tertium comparationis der Begriff Flüchtling, der freilich äußerst unterschiedliche Objekte/Subjekte bzw. Sachverhalte bezeichnet. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Bezeichneten die Konnotation, aus der sich letztlich ein Anspruch an die umgebende Gesellschaft ergibt. Auf diese Weise erhält man Propaganda, nicht Erkenntnis.

Literatur:

Markus Leniger, Nationalsozialistische ”Volkstumsarbeit” und Umsiedlungspolitik 1933-1945: Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese. 2006

Carina Vogt, „Heim ins Reich!“ – Die nationalsozialistische Politik gegenüber den sogenannten „Volksdeutschen“ und ihre Folgen. Diplomarbeit 2011

Valdis O. Lumans, Himmler’s Auxiliaries. The Volksdeutsche Mittelstelle and the German National Minorities of Europe 1939 – 1945. 1993

Bild: Bundesarchiv, Bild 137-054438 und R 49 Bild-0705 via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Unabhängiger Journalist

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